Teufelskreis im Boden: Weil die Ernten in Mitteleuropa seit rund 20 Jahren stagnieren, könnte auch die Bodenqualität sinken – was wiederum die nächste Ernte bedroht. Als einen der Gründe nennen deutsche Wissenschaftler die steigenden Temperaturen der letzten Jahre: Sie lassen den wichtigen Humus im Boden schneller zerfallen, als er neu entstehen kann. Um diesen Schlüsselfaktor des Bodens zu sichern, fordern die Forscher im Magazin „Science of the Total Environment“ dringende Gegenmaßnahmen.
Die Landwirtschaft in Mitteleuropa leidet zurzeit unter dem heißen und trockenen Wetter: Für dieses Jahr erwarten Landwirte deutlich geringere Erträge. Aber unabhängig von solchen kurzfristigen Einbußen gibt es auch einen langfristigen Trend zu stagnierenden Erträgen, derbereits in den 1990er Jahren begann. Seitdem sind die Ernteerträge in Nord- und Mitteleuropa nicht mehr gestiegen, berichten Wissenschaftler um Martin Wiesmeier von der Technischen Universität München (TUM). Sie befürchten nun, dass sich das auch auf die Bodenqualität und damit zukünftige Ernten auswirkt.
„Stillstand der Erträge ist nachweisbar“
Für ihre Studie haben die Forscher die Erntestatistiken der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) seit den 1960er-Jahren ausgewertet. Bei den drei wichtigsten Getreidesorten Weizen, Gerste und Mais stagnieren die Erträge in Deutschland, aber auch in Ländern wie Großbritannien, Frankreich und Schweden demnach seit nunmehr fast 20 Jahren.
„Der Stillstand der Erträge ist erst seit einigen Jahren statistisch nachweisbar“, erklärt Erstautor Wiesmeier. Dieses Ergebnis stimmt mit weiteren Studien überein, die auf der ganzen Welt einen abflauenden Anstieg der Ernteerträge vor allem bei Getreide feststellen.
Dieses abgeschwächte Wachstum wirkt sich auch auf die Qualität des Bodens aus. Denn die angebauten Pflanzen ziehen nicht nur Nährstoffe heraus, sie geben auch organisches Material an den Boden zurück. Denn auf dem Feld verbleibende Gräser und andere Ernterückstände zerfallen schließlich zu Humus – dem fruchtbaren Boden, der auch im Komposthaufen entsteht.
Teufelskreis zwischen Boden und schlechten Ernten
„Da es einen starken Zusammenhang zwischen Ernteerträgen und dem Eintrag organischer Substanz in den Boden gibt, muss sich der Stillstand der Ernteerträge auch auf die Humusvorräte der Böden auswirken“, erklärt Wiesmeier. Dies gilt vor allem bei steigenden Temperaturen, denn dann wird der Humus im Boden schneller von Mikroorganismen abgebaut. Wenn gleichzeitig durch geringere Ernten der Nachschub schwindet, „muss man langfristig mit einem Humusschwund rechnen“, schlussfolgert der Forscher.
Dass die Humusvorräte durch die stagnierenden Ernteerträge ebenfalls abnehmen, lässt sich bereits ansatzweise erkennen: In allen EU-Ländern, in denen die Ernteerträge stagnieren, gibt es den Forschern zufolge auch erste Anzeichen für einen Humusschwund im Ackerboden. Damit sinkt auch wieder die Bodenqualität: „Entwickelt sich das so weiter, dann könnte das die Bodenfruchtbarkeit und Wasserspeicherkapazität negativ beeinflussen“, folgert Wiesmeier, „was letztendlich zu schlechteren Ernten führen könnte – ein Teufelskreis.“
Ungeklärte Ursache für stagnierende Ernten
Die Ursache für die stagnierenden Erträge ist noch nicht eindeutig geklärt. Es kommen verschiedene Faktoren in Frage, die wahrscheinlich alle ihren Beitrag leisten: Durch die geänderte Agrarpolitik in der EU seit den 1990er Jahren seien weniger Düngemittel zum Einsatz gekommen und der Anbau von Hülsenfrüchten zurückgegangen, erklärt Koautor Rico Hübner von der TUM. Hülsenfrüchte werden oft nicht geerntet, sondern direkt untergepflügt, um den Boden zu regenerieren. Entfällt diese Praxis, sinkt die Bodenqualität. „Andere Autoren vorhergegangener Studien hatten dies als Grund für den Erntestillstand diskutiert“, so Hübner.
Weitaus stärker könnte jedoch das veränderte Klima ins Gewicht fallen: Die Temperaturen liegen immer häufiger über dem Optimum für das Pflanzenwachstum. Es kommt häufiger zu Dürrephasen, wie in diesem Sommer, und die Wachstumsperioden verschieben sich. „All das führt zwangsläufig zu einer stagnierenden Biomasseproduktion der Kulturen und weniger Eintrag von organischem Material in den Boden“, sagt Wiesmeier.
Rückgang statt Aufbau
Das Studienergebnis widerspricht bisherigen Voraussagen: Frühere Studien waren davon ausgegangen, dass wärmeres Wetter zu längeren Wachstumsphasen führt. Gleichzeitig sollte der Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre die Pflanzen besser wachsen lassen. Diese beiden Effekte zusammen sollten ausreichen, um den beschleunigen Humusabbau bei höheren Temperaturen zumindest auszugleichen, im besten Fall sogar zu übertreffen. Doch dies scheint nicht der Fall zu sein.
Um dem Problem zu begegnen, sollte die Landwirtschaft häufiger auf Maßnahmen zum Humusaufbau setzen, empfehlen Wiesmeier und Kollegen: So sollte unter anderem die Fruchtfolge wieder vielseitiger sein, Ernterückstände auf den Feldern bleiben, und eine Begrünung der Felder auch im Winter sollte die Erosion des Bodens bremsen. Die Autoren der Studie fordern zudem eine interdisziplinäre Erforschung der Ursachen, „denn ein Fachgebiet alleine kann das Problem nicht lösen“. (Science of the Total Environment 2015; doi: 10.1016/j.scitotenv.2015.07.064)
(Technische Universität München, 28.08.2015 – AKR)