Blutkrebs in der Steinzeit: Forscher haben bei Stuttgart den bisher ältesten Fall von Leukämie entdeckt. In den Knochen einer vor 7.000 Jahren gestorbenen Frau fanden sie Spuren von Knochenveränderungen, wie sie für diese Krebsart typisch sind. Eine andere Krankheit als Ursache für die Anomalien schließen die Paläoanthropologen aus. Ob die Bäuerin aus der Jungsteinzeit an der Leukämie gestorben ist, ist allerdings nicht bekannt.
Das Leben der ersten Bauern in der Jungsteinzeit war nicht einfach: Die Arbeit auf den Feldern war kräftezehrend, die Erträge nicht immer reichhaltig und die medizinische Versorgung aus heutiger Sicht mangelhaft. Diese harten Lebensumstände wirkten sich auch auf die Gesundheit der Menschen aus – Infektionskrankheiten, Mangelerscheinungen und degenerative Veränderungen waren keine Seltenheit. Kein Wunder, dass die ersten Bauern zunächst eher kränklich und klein waren.
Einer frühen Vertreterin der neolithischen Bauern gehörte auch das bei Ausgrabungen in Stuttgart-Mühlhausen gefundene Skelett. Es stammt von einer 30 bis 40-jährigen Frau, die bis auf Entzündungen im Mund- und Kieferbereich sogar recht gesund erschein – zumindest auf den ersten Blick. Doch das änderte sich, als Heike Scherf von der Universität Tübingen und ihre Kollegen die Knochen des rund 7.000 Jahre alten Skeletts näher untersuchten.
Anomalien im „Knochenschwamm“
Ihnen fiel etwas Ungewöhnliches auf: „Wir haben verschiedene Knochen des Skeletts mit Hilfe unseres hochauflösenden Computer-Tomografen untersucht und im rechten, oberen Oberarmknochen und dem Brustbein eine ungewöhnliche Auflockerung des inneren Knochengewebes, der Spongiosa, festgestellt“, berichtet Scherf. „Kein anderes Individuum zeigte dieses signifikante Muster, obwohl sie von derselben Fundstelle stammen und der gleichen Altersgruppe angehören.“
Normalerweise findet sich das schwammartige Spongiosa-Knochengewebe in den Enden der langen Arm- und Beinknochen, aber auch im Brustbein, in den Wirbeln, den Rippen, dem Schädel und dem Becke. Dieser „Knochenschwamm“ grenzt an das Knochenmark, in dem die blutbildenden Stammzellen heranreifen. Kommt es jedoch zu einer Entartung dieser Vorläuferzellen, dann kann es zu einer Leukämie kommen. Dabei vermehren sich unreife, funktionsuntüchtige Vorläuferzellen der weißen Blutkörperchen, stören die Blutbildung und können auch an der feinen Knochenstruktur ihre Spuren hinterlassen.
Ältester Fall der Menschheitsgeschichte
Nach Ansicht der Paläoanthropologen sprechen die Auffälligkeiten am Knochen der Steinzeit-Frau dafür, dass sie einst unter einer Leukämie litt. Denn andere mögliche Ursachen für diese Deformationen haben sie durch vergleichende Analysen ausgeschlossen: „Das biologische Alter und die Begrenzung der Funde auf Oberarmknochen und Brustbein sprechen gegen Osteoporose“, sagt Scherf. Auch für eine Überfunktion der Nebenschilddrüse fehlen typische Merkmale.
Damit aber könnte das 7.000 Jahre alte Skelett der bisher älteste Beleg für eine Leukämie-Erkrankung bei einem Menschen sein. „Ob die Frau an der Erkrankung auch gestorben ist, können wir aber nicht feststellen“, fasst Scherf zusammen. Dass auch schon die Menschen früher Kulturen an Krebs erkrankten, belegte erst 2014 das 3.200 Jahre alte Skelett eines Ägypters, dessen Knochen Spuren von Metastasen eines Weichteilkrebses aufwiesen. Das älteste Indiz auf Krebs überhaupt sind Deformationen durch einen Knochenkrebs, die Forscher am 120.000 Jahre alten Skelett eines Neandertalers entdeckten.
(Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, 01.09.2015 – NPO)