Neun Sekunden: So viel eilt der Merkur seiner bisher angenommenen Rotation voraus. Das belegen Daten der Merkursonde MESSENGER. Sie liefern zudem Indizien dafür, dass der Kern des Merkur fast drei Viertel seiner Masse ausmacht und zum großen Teil geschmolzen ist – für einen Planeten seiner eher geringen Größe ist das sehr ungewöhnlich. Warum der Merkur damit so aus der Reihe tanzt, ist noch unklar.
Der Merkur ist in gleich mehrerer Hinsicht ungewöhnlich: Der sonnennächste Planet ist kleiner, dichter und älter als alle anderen im Sonnensystem. Zudem besitzt er einen extrem großen Kern, den er vielleicht einer urzeitlichen Kollision verdankt. Und seine Oberfläche ist ungewöhnlich dunkel und trägt sogar Reste von Eis, wie die NASA-Raumsonde MESSENGER feststellte.
Einzigartige Rotation
Einzigartig im Sonnensystem ist die Rotation des Merkur: Seine etwa 59-tägige Rotation ist gekoppelt an die 88 Tage dauernde Umlaufzeit um die Sonne. Er rotiert somit exakt dreimal um seine Achse, in der gleichen Zeit, in der er zweimal um die Sonne kreist. Das Verhältnis zwischen einem Umlauf um die Sonne und der Rotationdauer um die eigene Achse beträgt damit 3:2, was es so im Sonnensystem kein zweites Mal gibt.
Dank neuer Daten der MESSENGER-Sonde haben Planetenforscher nun die Rotationsdauer des Merkur neu vermessen. Sie nutzten dafür präzise Höhenmessungen des Laser-Altimeters MLA an Bord der Raumsonde und Geländemodelle, um zu messen, wann bestimmte Landmarken wieder exakt an der gleichen Stelle auftauchen.
Neun Sekunden zu schnell
Das überraschende Ergebnis: Der Merkur dreht sich im Durchschnitt etwa neun Sekunden schneller um die eigene Achse als erwartet. Neun Sekunden erscheinen zunächst nicht viel. Geht es aber um die Rotation eines Planeten um die eigene Achse, sind neun Sekunden nicht unerheblich. Auf dem Merkur bedeutet dies: Einen Punkt auf seinem Äquator würde man nach vier Jahren nicht dort finden, wo man ihn vermutet, sondern um 700 Meter verschoben.
„Eine mögliche Erklärung für die schnellere Rotation Merkurs ist, dass Jupiter die Bahn von Merkur stört“, sagt Alexander Stark vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Schwerkraftwirkung des Gasriesen ist gemessen an der gewaltigen Anziehungskraft der nahen Sonne zwar nur sehr gering, sie könnte nach Ansicht der Forscher aber ausreichen, um die Rotation des Planeten zu beeinflussen. „Dadurch ändert sich der Abstand der Sonne und als Folge auch die Rotationsgeschwindigkeit des Merkur“, sagt Stark.
Größtenteils flüssig“
Und noch etwas ist besonders an der Rotation des Merkur: er eiert. Weil der Planet starken Gezeitenkräften von der Sonne ausgesetzt ist, schwankt seine Rotationsgeschwindigkeit leicht. Diese Libration ist sogar doppelt so groß, wie für einen völlig festen Himmelskörper typisch. Am Äquator eiert Merkur dadurch im Laufe von 88 Tagen um mehrere hundert Meter. Diese periodische Torkel-Bewegung ist für Planetenforscher eine Chance, denn sie verrät einiges über das Innenleben des Planeten.
Ähnlich wie bei einem rohen oder gekochten Ei, das man auf einer Tischplatte kreiseln lässt, sagt die Libration etwas darüber aus, wie fest oder flüssig das Innere ist. Den neuen Daten nach hat die Libration des Merkur eine Amplitude von knapp 39 Bogensekunden, die Drehachse schwankt dabei um zwei Bogenminuten. Daraus ergeben sich neue Erkenntnisse über den Kern des Merkur. „Die Messungen bestätigen, dass Merkur einen großen teilweise geschmolzenen Kern besitzt, der mehr als die Hälfte des Volumens und über 70 Prozent der Masse des Planeten ausmacht“ sagt Jürgen Oberst vom DLR-Institut für Planetenforschung.
Wichtige Daten für künftige Missionen
„Mit der Vermessung der Rotationsgeschwindigkeit und den dadurch möglichen Rückschlüssen auf das Innere von Merkur haben wir eines der großen Missionsziele von MESSENGER erreicht“, sagt DLR-Planetenforscher Alexander Stark. Ein korrektes Rotationsmodell für den Planeten ist Grundlage für die Erstellung von präzisen Karten, die auch für die Planung zukünftiger Missionen zum Merkur wichtig sind.
Eine davon ist die Raumsonde Bepi Colombo der europäischen Weltraumorganisation ESA, die 2017 zum Merkur starten soll. Sie wird die Oberfläche und den inneren Aufbau des sonnennächsten Planeten weiter erforschen. (Geophysical Research Letters, 2015; doi: 10.1002/2015GL065152)
(Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), 10.09.2015 – NPO)