Überraschung in der Nordwestpassage: Die Erwärmung könnte den Seeweg nördlich von Kanada möglicherweise stärker blockieren, statt ihn freizulegen. Diese scheinbar paradoxe Situation entsteht durch Treibeis aus dem Arktischen Ozean, wie Forscher nun herausgefunden haben. Schmilzt dort mehr Eis, so treiben auch mehr Eisbrocken in die schmalen Durchfahrten der Nordwestpassage und bilden dort dickere Eisschichten. Eine wirtschaftliche Durchfahrt des Seewegs könnte trotz des Klimawandels daher noch für Jahrzehnte unmöglich sein.
Der Arktische Ozean bietet normalerweise keine bequemen Fahrtrouten für Schiffe: Meistens können sich allein schwere Eisbrecher einen Weg durch das Meereis bahnen. So sind nur sehr langsame Fahrten möglich. Aber der Seeweg durch die Inseln nördlich des kanadischen Festlandes ist attraktiv: Die nördliche Route vom Nordatlantik Richtung Westen ist viel kürzer als die Seewege durch den Panamakanal oder den Suezkanal. Wer mit dem Schiff etwa von Nordeuropa oder von der amerikanischen Ostküste nach Japan will, könnte durch die Nordwestpassage mehrere tausend Kilometer abkürzen.
Freie Fahrt wegen Eisschmelze?
Das immer stärker schmelzende Meereis in der Arktis hat diese Route seit Anfang der 2000er Jahre mittlerweile tatsächlich auch für Handelsschiffe geöffnet, schon mehrere Schiffe und auch einige Grönlandwale haben die Abkürzung gemeistert. Allerdings ist die Nordwestpassage bisher nur in einigen arktischen Sommern befahrbar. Doch auch eine weitere Erwärmung der Arktis ist keine Garantie für freie Fahrt, sagen Forscher um Christian Haas von der York University.
Die Geophysiker haben im späten arktischen Winter das Eis in der Passage mit Hilfe von elektromagnetischen Induktionssensoren vom Flugzeug und vom Hubschrauber aus vermessen. Dabei legten sie besondere Aufmerksamkeit auf die Dicke des Eises, nicht nur die Fläche, die es bedeckt. Denn je dicker die Eisschicht ist, desto weniger wahrscheinlich schmilzt sie im Sommer ab. Die Studie ist die erste großangelegte Untersuchung der Eisdicke in der Region.
Treibeis blockiert die Nordwestpassage
In den meisten Bereichen der Nordwestpassage war die gefundene Eisdecke rund zwei Meter dick. An einigen Stellen fanden die Forscher jedoch auch über vier Meter dicke Eisschichten. Besonders mehrjähriges und stark deformiertes Eis türmte sich stärker auf und bildete dickere Schichten. Diese Eisbrocken waren unerwartet: „Wir waren überrascht, im späten Winter so dickes Eis in der Region zu finden, trotz der Tatsache, dass es im Spätsommer der letzten Jahre mehr und mehr offenes Wasser gab.“ Denn wenn die Passage im Sommer frei schmilzt, woher kommt dann mehrere Jahre altes Eis im Winter?
Verantwortlich dafür ist den Wissenschaftlern zufolge ein Faktor, der auch für die Seefahrt durch die Nordwestpassage entscheidend sein dürfte: Das mehrjährige Eis stammt zum großen Teil nicht aus der Passage selbst, sondern treibt im Sommer aus dem nördlichen Arktischen Ozean nach Süden, um dann zwischen den Inseln der Nordwestpassage erneut festzufrieren. „Das zeigt die Bedeutung des Eistransports aus der hohen Arktis und der Schmelzprozesse im Frühling“, sagt Haas.
Nordwestpassage vielleicht noch für Jahrzehnte versperrt
Für die Nordwestpassage führt das möglicherweise zu einer paradoxen Situation: Obwohl die Eisschmelze von Jahr zu Jahr zunimmt, könnte der Schifffahrtsweg zunächst sogar noch stärker blockiert werden. Denn mit der zunehmenden Schmelze im Polarmeer treiben auch mehr Eisbrocken südwärts. Das verstärkt nicht nur die Eisdecke im Winter, sondern sorgt auch für gefährliches und unberechenbares Treibeis im Sommer.
Die Forscher warnen deshalb vor voreiligen Schlüssen. Das Eis in der Nordwestpassage könnte ihrer Ansicht nach noch jahrzehntelang keine regelmäßige Durchfahrt ermöglichen. Eine wirklich sichere Vorhersage sei aber nach den aktuellen Klimamodellen nicht möglich, da diese die komplexen und dynamischen Prozesse des Eises in den schmalen Durchfahrten der Nordwestpassage nicht genau genug wiedergeben können. (Geophysical Research Letters; doi: 10.1002/2015GL065704)
(York University, 30.09.2015 – AKR)