Gefährlicher als gedacht: Inselvulkane können offenbar doch gewaltige Megatsunamis auslösen. Denn ihre Hänge kollabieren nicht langsam, sondern sehr plötzlich und katastrophal, wie nun Funde auf den Kapverden belegen. Dort löste eine Eruption vor 73.000 Jahren eine Rutschung aus, der eine Flutwelle von gut 270 Metern Höhe folgte. Das aber bedeute, dass die Gefahr großer Flutwellen durch solche Vulkane bisher unterschätzt wurde, betonen die Forscher im Fachmagazin „Science Advances“.
Die meisten Tsunamis entstehen durch Verschiebungen des Meeresbodens bei einem Seebeben, wie im März 2011 vor Japan, oder durch Rutschungen an Kontinental-Abhängen. Tsunamigefahr besteht daher auch entlang von Europas Kontinentalrändern, wie kürzlich eine Studie ergab. Unstrittig ist auch, dass Hangrutschungen bei Vulkanausbrüchen Tsunamis verursachen können, wie der Ausbruch des Krakatau im Jahr 1883 bewies – die Flutwellen erreichten damals immerhin 40 Meter Höhe.
Plötzlich oder nach und nach?
Schon seit Jahren beobachten Geologen daher unter anderem die Vulkane der Kanaren intensiv, denn diese Inseln gelten als mögliche Kandidaten für einen vulkanbedingten Tsunami. Strittig ist aber, ob ein solcher Kollaps von Vulkanhängen auch Megatsunamis von 100 Metern Wellenhöhe und mehr auslösen kann. Denn viele Geologen gehen davon aus, dass das Material dabei langsamer und in mehreren Schüben abrutscht und daher geringere Wassermassen in Bewegung setzt.
Funde auf den Kapverden könnten uns nun jedoch eines Besseren belehren. In diesem Archipel liegt der Fogo, einer der größten und aktivsten Inselvulkane der Erde. Er bricht etwa alle 20 Jahre aus und ragt 2.900 Meter über das Meer hinaus. Vom Meeresgrund aus erhebt er sich sogar sieben Kilometer hoch. Am Fuß des Vulkans liegt ein großes Feld aus Gesteinstrümmern – Relikte einer Rutschung, bei der vor rund 65.000 bis 120.000 Jahren 130 bis 160 Kubikkilometer Material ins Meer gestürzt sein müssen.
Acht Meter große Brocken auf einer Klippe
Aber was waren damals die Folgen? Das haben Ricardo Ramalho von der University of Bristol und seine Kollegen nun aufklärt. Sie untersuchten dafür Gesteinsformationen an der Küste der rund 55 Kilometer entfernt liegenden Nachbarinsel Santiago. Schon vor einigen Jahren waren ihnen dort auf einem 190 Meter hohen Plateau bis zu acht Meter große und 700 Tonnen schwere Felsbrocken aufgefallen.
Nähere Analysen enthüllten nun: Diese lieferwagengroßen Brocken bestehen aus ganz anderem Gestein als das junge, vulkanische Plateau. Stattdessen handelt es sich um Kalkstein, Basalt und Sedimentkonglomerate, wie sie am Meeresgrund vor der Inselküste vorkommen. „Diese Brocken müssen einst aus dem Ozean auf das Plateau und bis zu 220 Meter landeinwärts transportiert worden sein“, berichten die Forscher. Datierungen ergaben, dass dies vor 73.000 Jahren geschah.
270 Meter hohe Flutwelle
Aber was schleuderte diese Felsbrocken damals so weit aus dem Meer hinaus? „Nur ein außergewöhnlich starker Tsunami wäre dazu fähig, diesen Transport zu leisten“, sagen Ramalho und seine Kollegen. Dafür sprechen auch mehrere Meter dicke Schichten von chaotisch durcheinandergeworfenem Sediment, durchmischt mit bis zu vier Meter großen Brocken im Umfeld der Küstenklippen.
„Diese Brocken wären damit die ersten Findlinge, die von einem Tsunami sogar auf die Oberseite einer Klippe geschleudert wurden“, so die Forscher. Wie sie ausrechneten, muss die Flutwelle damals mindestens 270 Meter hoch gewesen sein. Doch wenn der Vulkanhang des Fogo wie bisher angenommen nur nach und nach abrutschte, dann wäre das Meer nur rund 40 Meter weit angestiegen. Das jedoch ist viel zu wenig.
Gefahr auch heute noch
Nach Ansicht der Wissenschaftler lässt dies nur einen Schluss zu: Der Ausbruch des Fogo vor rund 73.000 Jahren ließ den Hang des Vulkans in einem Rutsch kollabieren. Das löste einen Megatsunami aus, der die jüngsten Tsunamikatastrophen in Japan und Indonesien weit übertraf. „Unsere Beobachtungen liefern damit einen Beleg dafür, dass Hangkollapse an Inselvulkanen extrem schnell und katastrophal ablaufen können – und daher sehr wohl dazu fähig sind, gigantische Tsunamis auszulösen“, sagt Ramalho.
Solche Megakatastrophen sind zwar eher selten – sie kommen wahrscheinlich nur alle zehntausend Jahre einmal vor. Und nicht jede Rutschung an einem Inselvulkan muss gleich so dramatische Folgen haben. „Aber wir müssen sie berücksichtigen, wenn wir über das Risikopotenzial von Inselvulkanen nachdenken“, betont der Forscher. „Denn sie sind offenbar weniger selten als bisher gedacht.“
Der Fogo scheint momentan zumindest wieder halbwegs stabil zu sein. Denn als er Ende 2014 ausbrach, zerstörten Lavaströme zwar mehrere Gebäude und machten 1.200 Menschen obdachlos. Der Hang aber blieb stabil. „Doch auch der Fogo könnte eines Tages wieder kollabieren – wir müssen daher wachsam bleiben, sagt Ramalho. (Science Advances, 2015; doi: 10.1126/sciadv.1500456)
(The Earth Institute at Columbia University, 05.10.2015 – NPO)