Forscher schlagen Alarm: Einer der größten Gletscher Grönlands wird instabil. Seit 2012 hat der Zachariae Isstrøm im Nordosten der Insel sein Fließtempo verdreifacht und seine Schmelzrate verdoppelt, wie Messungen belegen. Der Gletscher verliert dadurch zurzeit fünf Millionen Tonnen Eis pro Jahr. Setzt sich dies bis zum kompletten Auftauen fort, könnte allein dieser Gletscher 50 Zentimeter zum Meeresspiegelanstieg beitragen, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.
Grönlands Eis ist das zweitgrößte Reservoir von Wassereis auf unserem Planeten und spielt daher eine entscheidende Rolle für die Entwicklung des Meeresspiegels. Doch dank des Klimawandels fließt schon jetzt aus Grönlands Gletschern jedes Jahr so viel Schmelzwasser ins Meer wie aus fünf Bodenseen. Das Beunruhigende: Lange galt der Nordosten der Rieseninsel als besonders kalt und daher stabil. Doch 2014 zeigte sich, dass auch diese letzte Bastion gegen den Klimawandel beginnt abzutauen.
„Dramatisch verändert“
Eine besondere Rolle spielt der Zachariae Isstrøm im Nordosten Grönlands. Denn gemeinsam mit seinem kleineren Nachbargletscher macht er zwölf Prozent des gesamten grönländischen Eisschilds aus. Und nun scheint auch er gegenüber der Erwärmung klein beizugeben, wie Jeremie Mouginot von der University of California in Irvine und seine Kollegen festgestellt haben. Sie haben flugzeug- und satellitengestützte Radaraufnahmen, Schweremessungen und Laservermessungen kombiniert, um den Zustand des Gletscher zu ermitteln und diese Daten mit denen aus den letzten 40 Jahren zu vergleichen.
Die Ergebnisse sind besorgniserregend: „Die Form und Dynamik des Zachariae Isstrøm haben sich in den letzten paar Jahren dramatisch verändert“, berichtet Mouginot. „Der Gletscher bricht jetzt auseinander und kalbt große Volumen von Eisbergen in den Ozean.“ Nach 25 Jahren der Ruhe begann der Gletscher ab dem Jahr 2000, immer schneller in Richtung Meer zu fließen.
Stabilisierende Schwelle fällt weg
Ab 2012 beschleunigte sich dieser Abfluss noch einmal drastisch: Allein zwischen 2012 und 2015 erhöhte der Zachariae Isstrøm seine Geschwindigkeit um 125 Meter pro Jahr – auf das Dreifache der Zeit vor 2012. Gleichzeitig wurde er immer dünner und seine ins Meer ragende Zunge schrumpfte um 95 Prozent, wie die Forscher berichten.
Die Front der kalbenden Eisberge ist dadurch bis fast an die Grundlinie des Gletschers vorgerückt – der Grenze zwischen schwimmendem und auf dem Grund aufliegendem Gletschereis. Das Problem dabei: Lange Zeit lag die Gletscherfront auf einer erhöhten Schwelle des Untergrund auf. Dies stabilisierte den Eisriesen und verhinderte ein weiteres Zurückweichen. Doch das ist nun vorbei: „Der Gletscher hat sich von der stabilisierenden Schwelle gelöst“, berichten die Forscher.
Warmer Ozean nagt von unten
Die Folgen sind schon jetzt klar erkennbar: Der Zachariae Isstrøm hat seine Abtaurate in den letzten paar Jahren verdoppelt. Er verliert inzwischen fünf Millionen Tonnen Eis pro Jahr – das meiste davon an seiner Unterseite. „Das wird in den nächsten Jahrzehnten zu steigenden Meeresspiegeln führen“, sagt Mouginot. Sollte der Gletscher komplett abtauen, könnte er allein die weltweiten Pegel um 50 Zentimeter ansteigen lassen.
Schuld an dem dramatisch beschleunigten Abschmelzen ist nach Angaben der Forscher vor allem der immer wärmer werdende Ozean. „Der Zachariae Isstrøm ist von oben und unten gleichzeitig betroffen“, erklärt Seniorautor Eric Rignot von der University of California. „Die Oberseite des Gletschers taut als Folge der seit Jahrzehnten stetig steigenden Lufttemperaturen und seine Unterseite wird von Strömungen zu warmen Wassers angegriffen.“ Der Gletscher weicht dadurch immer weiter zurück und bricht zunehmend auseinander. Zudem wird sich seine Eisfront in den nächsten Jahren von 19 auf 50 Kilometer verbreitern, was den Eisverlust weiter beschleunigt, so die Forscher.
Alle großen Eisströme Grönlands betroffen
Mit dem Abschmelzen des Zachariae Isstrøm zeigen nun die drei größten Auslassgletscher Grönlands deutliche Spuren des Klimawandels. Der Jakobshavn Isbræ im Südwesten der Insel hat schon seit 2010 den Turbo eingelegt und ist heute der am schnellsten fließende Gletscher Grönlands. Der Petermann- und Humboldt-Gletscher im Nordwesten haben ebenfalls bereits große Eismengen verloren, wie die Forscher berichten.
„Diese kombinierten Beobachtungen deuten darauf hin, dass nun alle drei großen ins Meer mündenden Eisströme signifikante Veränderungen erleben“, konstatieren die Wissenschaftler. „Noch vor nicht allzu langer Zeit fragten wir uns, welche Auswirkungen es auf die Meeresspiegel hätte, wenn die größten Gletscher der Erde schmelzen würden“, sagt Rignot. „Jetzt müssen wir uns das nicht mehr fragen: Wir können es direkt beobachten. Die Veränderungen sind erschütternd.“ (Science, 2015; doi: 10.1126/science.aac7111)
(University of California – Irvine / AAAS, 13.11.2015 – NPO)