Biologie

Rätsel der gestrandeten Seelöwen gelöst

Giftige Meeresalge verursacht chronische Hirnschäden bei den Meeressäugern

Ziemlich beduselt: Seelöwe Blarney in Behandlung nach seinem Stranden. © The Marine Mammal Center

Schleichender Hirnschaden: Eine giftige Meeresalge verursacht nicht nur akute Vergiftungen bei Mensch und Tier, sie nimmt Seelöwen auch ihre räumliche Orientierung. Denn das Gift löst bei den Meeressäugern bleibende Schäden im Gehirn aus, wie Forscher nachgewiesen haben. Das könnte erklären, warum auch dann Seelöwen an den Küsten stranden, wenn gerade keine Algenblüte herrscht, so die Forscher im Fachmagazin „Science“. Möglicherweise sei das Algengift auch an Strandungen anderer Meeressäuger schuld.

Eigentlich besitzen Wale, Seelöwen und andere Meeressäuger einen inneren Kompass, der sie problemlos Wanderungen von hunderten oder sogar tausenden Kilometern absolvieren lässt. Manchmal jedoch scheint dieser Kompass zu versagen. Dann verirren sich die Meeressäuger ins flache Wasser und finden nicht mehr zurück in den Ozean – sie stranden. Warum dies geschieht, ist bisher unklar, theoretisch könnten Lärm, veränderte Strömungen oder Giftstoffe im Wasser die Orientierung der Meeressäuger stören.

Meeresalge erzeugt akute Vergiftung

Besonders häufig kommen Strandungen bei Kalifornischen Seelöwen (Zalophus californianus) vor: Hunderte von Tieren landen jedes Jahr an der Küste und liegen dann verwirrt und teilweise mit Krämpfen am Strand. Weil die Strandungen in einigen Fällen mit der Blüte einer bestimmten Kieselalge zusammenfielen, weckte dies bei Meeresbiologen schon früher den Verdacht, es könnte sich um eine Vergiftung handeln. Denn die Algen der Gattung Pseudo-nitzschia produzieren Domoinsäure, ein Molekül, das sich im Gehirn an Glutamat-Rezeptoren anlagert und dadurch akute Vergiftungssymptome verursacht.

Diese Giftwirkung kann die Krämpfe und den verwirrten Zustand der gestrandeten Seelöwen erklären. Aber wie passen die außerhalb der Algensaison strandenden Seelöwen ins Bild? Denn nahezu das gesamte Jahr über werden orientierungslose Meeressäuger an den Stränden Kaliforniens gefunden – auch dann, wenn weit und breit keine Pseudo-nitzschia-Algen in Sicht sind.

Beim durch Algengift geschädigten Seelöwen (rechts) ist der zentral liegende Hippocampus sichtbar geschrumpft. © The Marine Mammal Center

Bleibende Schäden im Hippocampus

Um das Rätsel zu lösen, untersuchten Peter Cook von der University of California in Santa Cruz und seine Kollegen 30 Seelöwen, die nach ihrer Strandung von Biologen des Marine Mammal Center in Sausalito wieder aufgepäppelt wurden. Die Forscher führten Verhaltens- und Gedächtnistests mit den Tieren durch und analysierten ihre Hirnstruktur und -aktivität mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanz-Tomografie (fMRT).

Das Ergebnis: Die gestrandeten Seelöwen zeigten auffällige Schäden am Gehirn, wie die Forscher feststellten. Je verwirrter die Tiere waren, desto stärker war ihr Hippocampus geschädigt – die Region im Gehirn, die für das Gedächtnis zuständig ist. Die betroffenen Seelöwen schnitten entsprechend schlecht in den Gedächtnistests ab und konnten sich beispielsweise in einem simplen Labyrinth nicht merken, ob das Futter rechts oder links lag.

Schleichender Verlust der Orientierung

Und nicht nur das: Auch die Verknüpfungen zwischen dem Hippocampus und anderen Hirnarealen waren bei den gestrandeten Seelöwen gestört. „Das ist das erste Mal, dass wir Belege für ein verändertes Hirn-Netzwerk bei den betroffenen Seelöwen finden“, sagt Cook. „Das spricht dafür, dass diese Tiere unter einer umfassenden Störung ihres Gedächtnisses leiden und nicht nur unter Defiziten in ihrer räumlichen Erinnerung.“

Auch dieser Seelöwe musste wegen einer akuten Vergiftung durch Domoinsäure behandelt werden. © The Marine Mammal Center

Nach Ansicht der Forscher könnten diese Hirnschäden erklären, warum auch dann Seelöwen stranden, wenn gerade keine giftige Algenblüte herrscht: Die Tiere verlieren ihre Orientierung nicht nur bei akuter Vergiftung, sondern auch, wenn sie über längere Zeiträume immer wieder mit dem Algengift in Kontakt kommen. „Wir wissen aber noch nicht, wie hoch die Dosis sein muss oder wie oft der Kontakt mit dem Gift erfolgen muss, um diese Art von Hirnschäden auszulösen“, sagt Cook.

Keine guten Aussichten

Für die Seelöwen und möglicherweise andere Meeressäuger ist die schleichende Giftwirkung der Algen keine gute Nachricht. Denn in den letzten Jahren werden Blüten von Pseudo-nitzschia entlang der US-Westküste immer häufiger und ausgeprägter. In diesem Jahr hielt die Algenblüte den gesamten Sommer hindurch an und reichte von Santa Barbara im Süden bis nach Alaska hinauf, wie die Forscher berichten.

„Es muss tausende von kalifornischen Seelöwen mit verschiedenen Graden der Domoinsäure-Vergiftung dort draußen geben“, sagt Cook. „Doch diese Meeressäuger navigieren in einer komplexen und sich stetig verändernden Umwelt. Wenn ihr räumliches Gedächtnis nicht funktioniert, beeinträchtigt dies ihr Überleben.“ (Science, 2015; doi: 0.1126/science.aac5675)

(University of California – Santa Cruz, 15.12.2015 – NPO)

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