Massemonster im Nirgendwo: Astronomen haben zu ihrer Überraschung ein extrem massereiches Schwarzes Loch in einer eher kargen Region des Weltalls entdeckt. Mit 17 Milliarden Sonnenmassen gehört es zu den echten Giganten – obwohl es in seiner Umgebung kaum Futter gibt. Vielleicht handelt es sich um einen erloschenen Quasar, spekulieren die Forscher im Fachmagazin „Nature“. Dann könnten solche Riesen häufiger vorkommen als bisher gedacht.
Damit Schwarze Löcher zu massereichen Schwerkraft-Riesen heranwachsen, müssen sie sich große Mengen an Materie einverleiben. Deshalb finden sich diese Giganten meist dort, wo sie reichlich Sterne und Gas als Nahrung bekommen – im Herzen von Galaxien in dicht bevölkerten Gebieten des Weltalls. „In diesen Regionen können häufige Galaxienkollisionen und Kannibalismus den unersättlichen Appetit der Schwarzen Löcher stillen und es ihnen erlauben, so groß zu werden“, erklärt die Astronomin Chung-Pei Ma von der University of California in Berkeley.
Die größten dieser Massegiganten mit mehreren Milliarden Sonnenmassen entstanden nach gängiger Theorie zudem im noch jungen Universum, in aktiven Galaxien mit explosiver Sternenbildung und entsprechend üppigen Gasvorräten. Das Schwarze Loch im Herzen der Milchstraße ist dagegen mit nur viereinhalb Milliarden Sonnenmassen eher schmächtig – aber auch relativ jung.
Massemonster in schmächtiger Galaxiengruppe
Jetzt jedoch haben Jens Thomas vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und seine Kollegen einen echten Riesen unter den Schwarzen Löchern entdeckt – an gänzlich unerwarteter Stelle. Das supermassereiche Schwarze Loch umfasst 17 Milliarden Sonnenmassen und liegt rund 200 Millionen Lichtjahre von uns entfernt in der eher unauffälligen, wenig aktiven Galaxie NGC 1600.
Das Seltsame daran: Statt in einer der dicht bevölkerten Regionen des Alls liegt diese Galaxie relativ isoliert und hat nur wenige andere, ebenfalls eher schmächtige Galaxien in ihrer Umgebung. „NGC 16000 ist eine eher bescheidene Galaxiengruppe in einer ziemlich gewöhnlichen Himmelregion“, berichtet Thomas. Von üppigen Gas- und Sternenvorräten kann hier keine Rede sein.
„Wie ein Wolkenkratzer in einem Weizenfeld“
Ausgerechnet in dieser öden Gegend ein solches Massemonster zu finden, war deshalb auch für die Astronomen überraschend: „Das ist, als wenn man mitten in einem Weizenfeld im mittleren Westen plötzlich einen Wolkenkratzer finden würde – statt in einer Großstadt wie New York City“, erklärt Koautorin Chung-Pei Ma von der University of California in Berkeley.
Erstaunlich auch: „NGC 1600 scheint viele seiner zentralen Sterne verloren zu haben, es hat einen bemerkenswert flachen und lichtschwachen Kern“, sagt Thomas. Im Umkreis von rund 3.000 Lichtjahren um das Schwarze Loch herum ist die stellare Dichte deutlich herabgesetzt, wie Beobachtungen mit dem Hubble-Weltraumteleskop ergaben. „Eine so geringe zentrale Helligkeit hat keine andere Galaxie in Umkreis von rund 320 Lichtjahren“, berichten die Forscher.
Überrest eines alten Quasars?
Wie aber ist ein so großes Schwarzes Loch in dieser kargen Gegend zu erklären? Nach Ansicht der Astronomen könnte es sich bei NGC 1600 um einen erloschenen Quasar handeln – den Überrest einer einst sehr viel aktiveren, alten Galaxie. „Die hellsten Quasare mit den massereichsten Schwarzen Löchern liegen auch nicht notwendigerweise in den dichtesten Regionen des Universums“, erklärt Ma. „NGC 1600 könnte daher das erste Beispiel für den Nachkommen eines solchen Quasars sein.“
Demnach könnte NGC 1600 einst sehr viel Gas und Materie enthalten und dadurch dem Schwarzen Loch in seinem Zentrum ein schnelles, starkes Wachstum ermöglicht haben. Als dann der Materienachschub versiegte, nahm der Energieausstoß des Schwarzen Lochs ab und der Quasar erlosch. Weil seither kaum neues Futter mehr nachkam, ist das Schwarze Loch seither inaktiv.
Sollte das stimmen, dann könnte NGC 1600 nicht eine Ausnahme, sondern nur die Spitze eines ganzen Eisbergs sein: „Vielleicht gibt es noch viele weitere solcher Giganten unter den Schwarzen Löchern, die im Weizenfeld statt in Manhattan stehen“, sagt Ma. Denn auch bei zwei anderen, 2011 entdeckten Schwarzen Löchern mit mehr als zehn Milliarden Sonnenmassen vermuteten die Astronomen bereits, dass es sich um erloschene Quasare handeln könnte.
Verschmolzenes Paar?
Der Massegigant in NGC 1600 könnte aber sogar noch eine weitere Besonderheit aufweisen: Er bestand einst vielleicht sogar aus zwei sich umkreisenden Schwarzen Löchern. Indizien dafür sehen die Astronomen zum einen in der relativen Sternenleere im Galaxienzentrum: „Ein Paar Schwarzer Löcher würde Sterne eher wegschleudern, statt sie zu verschlingen“, erklärt Thomas.
Ein weiterer Hinweis aber ist die Galaxie NGC 1600 selbst: „Sie ist mit Abstand die hellste in ihrer Galaxiengruppe und überstrahlt alle anderen mindestens um das Dreifache“, so Thomas. „Das könnte darauf hindeuten, dass NGC 1600 in seiner Jugend einige seiner früheren Nachbarn mitsamt ihrer Schwarzen Löcher verschluckt hat.“ Die ungewöhnliche Größe des massereichen Schwarzen Lochs in NGC 1600 wäre dann die Folge dieser Verschmelzung. (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature17197)
(Gemini Observatory / University of California – Berkeley, 07.04.2016 – NPO)