Archäologie

Antikythera-Mechanismus: Astro-App der Antike?

Entzifferung der Inschriften auf dem antiken "Himmelscomputer" ist abgeschlossen

Verkrustet: Das größte Fragment des Mechanismus von Antikythera, ausgestellt im Museum von Athen. © Giovanni Dall'Orto

Der geheimnisvolle Mechanismus von Antikythera war vermutlich weniger ein Forschungswerkzeug der antiken Astronomen, als vielmehr eine Art interaktives astronomisches Lehrbuch. Das zumindest schließt ein internationales Forscherteam aus ihrer Entzifferung aller erhaltenen Inschriften im Instrument. Die Texte liefern zudem Hinweise auf verlorengegangene Bauteile des antiken „Himmelscomputers“.

Seit seiner Entdeckung im Jahr 1901 gibt der Mechanismus von Antikythera Rätsel auf. Denn das aus einem rund 2.100 Jahre alten Schiffswrack geborgene, schuhkartongroße Artefakt ist erstaunlich komplex: Bronzene Zahnräder liegen in mehreren Schichten übereinander und bilden einen mechanischen Rechner für Himmelsereignisse und Daten, wie Röntgenuntersuchungen und erste Entzifferungen der eingeritzten Zeichen enthüllten.

Mühsame Spurensuche

Wegen der Verkrustungen am Metall und der Position vieler Texte auf der Innenseite des Mechanismus von Antikythera, arbeitet ein internationales Forscherteam schon seit fast zehn Jahren an einer vollständigen Entzifferung der mehreren tausend Zeichen auf dem geheimnisvollen Instrument. 2008 fanden sie bereits heraus, dass ein Zahnrad die Olympiaden anzeigt und ein weiteres mit korinthischen Namen beschriftet ist – was auf die Herkunft des Geräts hindeutet.

Aus dem Wrack geborgen wurden nur 82 einzelne Fragmente, die zusammengesetzt noch nicht das vollständige Gerät ergeben. Unter den geborgenen, miteinander verkrusteten Teilen sind 30 Zahnräder aus Bronzeblech, ein Teil eines Zeigers und einige Verbindungsstücke. Weil die eist existierende Holzumhüllung des Instruments fehlt, lässt sich der Mechanismus nur indirekt anhand von weiteren im Wrack gemachten Funden datieren. Demnach ist das Schiff zwischen 70 und 60 vor Christus gesunken.

3.500 Zeichen entziffert

Jetzt haben Alexander Jones von der New York University und seine Kollegen weitere Fortschritte in der Entzifferung vorgestellt. Sie haben inzwischen dank modernster Durchleuchtungsmethoden nahezu alle auf den Fragmenten erhaltenen Textteile – rund 3.500 Zeichen – lesbar gemacht. Teilweise erforderte dies für jedes Zeichen die Analyse mehrerer Scans, wie sie berichten. Einige der eingeritzten Buchstaben und Symbole sind nur gut einen Millimeter hoch.

Extrem komplex: Rekonstruktion des Innenlebens des Antikythera-Mechanismus © SkoreKeep/ CC_by-sa 3.0

„Jetzt haben wir Texte, die man tatsächlich lesen kann – was wir vorher sahen war eher wie eine Radioübertragung mit ziemlich viel statischem Rauschen“, berichtet Jones gegenüber der AP. Allerdings: Weil Vorder- und Rückseite des Mechanismus von Antikythera nur als Fragmente existieren, ist noch immer nur ein Viertel der geschätzten Gesamtinschriften bekannt. Der Rest liegt noch in kleinen Fragmenten verstreut im Schiffswrack auf dem Grund des Mittelmeeres.

Mondphasen, Planeten und Co

Die neu entzifferten Textteile bestätigen, dass es sich bei dem Mechanismus von Antikythera um eine Art mechanischem „Himmelscomputer“ handelt. Er wurde verwendet, um die Mondphasen, die Position der Sonne, der Planeten und des Tierkreises vorauszuberechnen und um Sonnenfinsternisse vorherzusagen. Wie die Forscher erklären, ist etwas vergleichbar Komplexes erst aus der Zeit rund tausend Jahre später bekannt.

Trotz dieser Komplexität handelt es sich bei den im Inneren des Mechanismus neu entzifferten Texten weniger um eine Gebrauchsanweisung als eher um eine Art Beschreibung. Sie verriet dem damaligen Nutzer, was die verschiedenen Zahnräder und Symbole des Gerätes anzeigen, aber nicht unbedingt, wie er es bedienen muss, so Jones und seine Kollegen.

Rückseite des größten Fragments vom Atikythera-Mechanismus © Marsyas/ CC-by-sa 3.0

„Lehrbuch“ in mechanischer Form

Vermutlich diente der Mechanismus den damaligen Astronomen nicht unbedingt als Forschungswerkzeug, wie die Forscher erklären. Stattdessen sei es wahrscheinlich eher ein Instrument zu Lehrzwecken gewesen. „Es ist wie eine Art Lehrbuch der Astronomie, wie man sie damals kannte“, erklärt Jones. „Der Mechanismus von Antikythera verknüpfte die Bewegungen am Himmel und die Planeten mit dem Leben der alten Griechen und ihrer Umwelt.“

Doch genau diese Funktion macht das bronzene Artefakt für Historiker und Archäoastronomen so spannend. Denn aus dieser Zeit, dem ersten Jahrhundert vor Christus, ist nur wenig über die griechische Astronomie bekannt – und so gut wie gar nichts über die dabei eingesetzten Instrumente und Techniken. „Diese kleinen Texte sind daher für uns eine große Sache“, betont Jones.

Hinweise auf verlorene Bauteile

Interessant auch: Ein Teil der Inschriften beschreibt Teile des Mechanismus von Antikythera, die nicht erhalten geblieben sind. „Unter diesen sind Zeiger mit kleinen Kugeln auf dem vorderen Zifferblatt, die die Sonne und die Planten darstellen sowie ein kleineres Rad an der oberen Rückseite, das einen 76-jährigen kallippischen Kalenderzyklus beschreibt“, berichten die Forscher. Dieser Zyklus ist nach dem Athener Astronomen Kallippos aus dem 4. Jahrhundert vor Christus benannt und diente als lunisolarer Kalender. (Almagest, 2016; Vol. VII, Issue 1)

(Antikythera Mechanism Research Project, 15.06.2016 – NPO)

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