Umwelt

Fukushima: Fallout fiel als Glasregen

Körnchen aus geschmolzenem Reaktormaterial umhüllen das radioaktive Cäsium

Das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi am 14. März 2011: Radioaktiver Rauch steigt auf. © Digital Globe

Radioaktive Glaskörnchen: Beim Atomunfall von Fukushima wurde das radioaktive Cäsium in haltbarerer Form freigesetzt als bisher gedacht. Es regnete größtenteils als winzige Glaspartikel über die Umgebung und Tokio herunter, wie japanische Forscher festgestellt haben. In den Glaskörnchen jedoch ist das Radionuklid wasserunlöslich und wird kaum vom Regen weggewaschen – die Radioaktivität könnte daher länger in Umwelt und Organismen erhalten bleiben.

Der Atomunfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi hat Folgen bis heute. Auch gut fünf Jahre danach sind weite Teile der Umgebung verseucht, die Kernreaktoren nur mühsam unter Kontrolle und noch immer wird Radioaktivität freigesetzt. Vor allem die Radionuklide Cäsium-134 und Cäsium-137 gelangten dabei in die Umwelt.

Am Cäsium-Fallout von Fukushima setzt die Studie von Satoshi Utsonomiya von der Kyushu Universität an: Er und sein Team haben erstmals genauer untersucht, in welcher physikalischen Form sich die radioaktiven Isotope in der Umwelt verbreitet haben. Dafür analysierten sie Bodenproben aus einem 230 Kilometer Umkreis um das Atomkraftwerk, aber auch Proben von Luftfiltern, in Tokio am 15. März 2011 im Einsatz waren – vier Tage nach dem Atomunfall.

Von geschmolzenem Glas eingehüllt

Das überraschende Ergebnis: Der größte Teil des radioaktiven Cäsiums im Fallout war gar nicht wasserlöslich, wie bisher angenommen. Denn die freigesetzten Radionuklide konnte sich gar nicht mit den Wassertröpfchen der Luft verbinden, wie Utsonomiya berichtet. Stattdessen lagerte sich das Cäsium noch im Reaktor mit Eisen-Zink-Nanopartikeln zusammen und wurde mit ihnen in heißen Schwebtröpfchen aus geschmolzenem Siliziumdioxid eingeschlossen – Glas.

Wie die Forscher erklären, entstand dieses Glas bei der Kernschmelze in den Reaktoren. Die Hitze des mehr als 2.000 Grad heißen Kernbrennstoffs schmolz die Innenwände des Reaktor-Druckgefäßes. Der glutflüssige Beton – und damit auch geschmolzenes Siliziumdioxid – spritzte bei den Explosionen in winzigen Tröpfchen in die Höhe, schloss dabei die umherschwebenden Cäsiumpartikel ein und erkaltete dann beim Austritt in die Umgebungsluft.

Radioaktive Kontamination ein Jahr nach dem Atomunfall von Fukushima. © Roulex_45/ CC-by-sa 3.0

89 Prozent Glaspartikel

Allein in Tokio machten diese radioaktiven Glaspartikel 89 Prozent der gesamten, in Luftfiltern eingefangenen Radioaktivität aus, berichtet Utsonomiya auf der Goldschmidt Conference in Yokohama. Auch im Boden der Umgebung von Fukushima liege der größte Teil des radioaktiven Cäsiums in Form solcher Glas-Mikropartikel vor. „Das verändert einige unserer Annahmen über den Fallout von Fukushima“, konstatiert der Forscher.

Denn wenn das radioaktive Cäsium nicht in wasserlöslicher Form vorliegt, dann wird es auch weniger leicht vom Regen weggewaschen. Es bleibt, beispielsweise im Boden, länger erhalten. Überall dort, wo der Boden nicht im Rahmen der Dekontamination ausgetauscht wurde oder Straßen und Häuser nicht mit Hochdruckreinigern gesäubert wurden, könnten die radioaktiven Glaspartikel daher noch nahezu unverändert vorhanden sein.

Radioaktivität hochkonzentriert

Und noch etwas zeigte sich: In den Glaspartikeln ist die Radioaktivität teilweise hoch konzentriert. Die Forscher ermittelten in den winzigen Körnchen Werte von bis zu 440 Milliarden Becquerel pro Gramm – das ist zwischen 107 und 108 Mal höher als die durchschnittliche Verseuchung durch Cäsium in den Böden um Fukushima, wie sie berichten. Der Grund dafür ist die Anreicherung von besonders viel radioaktivem Cäsium auf engem Raum in diesen Partikeln.

„Diese Konzentration von radioaktivem Cäsium in den Mikropartikeln bedeutet, dass der radioaktive Fallout stellenweise viel stärker oder schwächer gewesen sein könnte als erwartet“, sagt Utsunomiya. „Damit müssen wir auch unsere Annahmen zu den Gesundheitsfolgen modifizieren.“ Je nach Belastung könnten einige Menschen und Tiere mit dem Glasstaub mehr Radionuklide eingeatmet haben als andere.

Hinzu kommt: Weil das im Glas eingeschlossene Cäsium vor Umwelteinflüssen geschützt ist, könnte es auch in Organismen und in der Nahrungskette länger erhalten bleiben. „Die biologische Halbwertszeit der unlöslichen Cäsium-Mikropartikel könnte sehr viel länger sein als die des löslichen Cäsiums“, kommentiert Bernd Grambow von der japanischen Atomenergieagentur JAEA. (Goldschmidt Conference 2016)

(Goldschmidt Conference, 27.06.2016 – NPO)

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