Biologie

Vögel können im Flug schlafen

Fregattvögel liefern ersten Beleg für echten Schlaf bei Langstreckenfliegern

Fregattvogel sind hervorragende Flieger und können mehrere hundert Kilometer weit pro Tag fliegen. © B. Voirin

Nickerchen im Gleitflug: Forscher haben erstmals nachgewiesen, dass Vögel tatsächlich im Flug schlafen können. Mit Mini-EEGs ausgerüstete Fregattvögel zeigten auf ihren wochenlangen Nonstopflügen immer wieder typische Schlafmuster ihrer Gehirnströme. Sie nicken demnach im Gleitflug immer wieder minutenlang ein – mal schläft dabei das ganze Gehirn, mal nur eine Gehirnhälfte, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.

Zugvögel fliegen oft über hunderte und sogar tausende Kilometer weit, ohne Pausen zu machen. Eine kleine Grasmücke fliegt beispielsweise 2.500 Kilometer Nonstop über dem Atlantik, der Alpensegler bleibt sogar sieben Monate lang in der Luft. Schon länger vermutet man daher, dass diese Langstreckenflieger im Flug schlafen – immerhin ist dies ein grundlegendes Bedürfnis aller Wirbeltiere. Eindeutige Belege dafür fehlten jedoch bisher.

Fliegenden Seevögeln ins Hirn geschaut

Niels Rattenborg vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen und seine Kollegen haben deshalb nun einige Fregattvögel von den Galapagosinseln sozusagen im Flug belauscht: Sie befestigten an deren Köpfen kleine Datenlogger, die Änderungen in der Gehirnaktivität anhand von Elektroenzephalogrammen (EEG) aufzeichnen. So konnten die Wissenschaftler anhand der typischen Wellenmuster der Hirnströme Wach- von Schlafphasen unterscheiden.

Ein GPS-Gerät auf dem Rücken der Tiere registrierte zusätzlich ihre Flughöhe und Position. Auf der Suche nach Fischen und Tintenfischen fliegen Fregattvögel typischerweise wochenlang ununterbrochen über den Ozean. Auf ihren bis zu zehn Tage langen Jagdflügen können die großen Seevögel dabei bis zu 3.000 Kilometer zurücklegen. Nachdem die Vögel wieder an Land zurückgekehrt waren, nahmen ihnen die Forscher die Datenlogger ab und werteten sie aus.

Nickerchen im Gleitflug

Das Ergebnis: Die Fregattvögel blieben zwar tagsüber wach, um aktiv nach Nahrungsquellen zu suchen. Nachts jedoch registrierten die Datenlogger mehrfach die typischen EEG-Muster des „Slow wave sleep“. Diese Anzeichen für einen echten Schlaf hielten mehrere Minuten an und traten meist dann auf, wenn die Fregattvögel im Gleitflug waren, wie die Forscher berichten. Die Seevögel schliefen demnach minutenlang komplett ein – und das mitten im Flug.

Wie entspannt die Fregattvögel dabei sein können, belegten weitere EEG-Daten: In einigen kurzen Phasen fielen die Vögel sogar in den REM-Schlaf. In dieser Schlafphase erschlaffen typischerweise die Muskeln – deshalb erscheint dies mitten im Flug sehr ungewöhnlich. Doch wie Rattenborg erklärt, sinkt bei REM-schlafenden Fregattvögeln im Flug zwar der Kopf wegen der nachlassenden Muskelspannung etwas ab, das Flugverhalten ändert sich in dieser Zeit jedoch nicht.

Schlafen mit dem halben Gehirn

Allerdings gönnen sich die Fregattvögel solche tiefen Nickerchen nur, wenn sie geradeaus gleiten. Nutzen sie dagegen aufsteigende Luftströme um sich in kreisenden Bewegungen nach oben zu schrauben, schlafen sie nur mit einer Hälfte ihres Gehirns, wie die EEG-Daten verrieten. Die jeweils andere Hirnhälfte bleibt wach.

Ein solcher Halbseitenschlaf ist bereits von Delfinen bekannt, aber auch von Enten: Lagern sie in einer Gruppe, bleiben die Vögel am Rand mit einer Gehirnhälfte wach und halten das dazugehörende Auge offen. Bei den Fregattvögeln ist es ähnlich, wie die Forscher berichten: „Die Fregattvögel halten ein Auge offen, um einen Zusammenstoß mit anderen Vögeln zu verhindern, genau wie die Enten, die ein Auge auf potentielle Fressfeinde werfen“, sagt Rattenborg.

Trotzdem Schlafmangel

Mit dem „Slow wave sleep“ in einer oder beiden Hirnhälften und dem REM-Schlaf zeigen diese Dauerflieger damit prinzipiell im Flug die gleichen Schlafmuster wie an Land – nur dauert ihr Flugschlaf deutlich kürzer: Die Fregattvögel schlafen im Flug im Mittel nur 42 Minuten pro Tag, während es an Land mehr als zwölf Stunden sind. Der längste ununterbrochene Schlaf, den die Wissenschaftler in der Luft gemessen haben, dauerte nur sechs Minuten. Sonderlich ausgeschlafen sind die großen Seevögel auf ihren Jagdausflügen demnach nicht.

Wie aber kompensieren Fregattvögel die mit Schlafmangel verbundenen negativen Effekte für den Organismus? „Warum wir, und viele andere Tiere, so dramatisch unter Schlafmangel leiden, während einige Vögel scheinbar problemlos mit viel weniger Schlaf umgehen, bleibt vorerst noch ein Mysterium“, sagt Rattenborg. Hier weiter zu forschen, könnte neue Erkenntnisse über das Verständnis von Schlaf und den Konsequenzen seines Verlustes bringen. (Nature Communications, 2016; doi: 10.1038/ncomms12468)

(Max-Planck-Gesellschaft, 04.08.2016 – NPO)

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