Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Forscher haben ein Schmerzmittel entdeckt, das so potent wirkt wie Morphin und Co – aber nicht deren Nebenwirkungen hat. Es hemmt weder die Atmung noch scheint es süchtig zu machen, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature“ berichten. Sollte sich diese positiven Eigenschaften auch in weiteren Versuchen bestätigen, wäre dies ein großer Fortschritt für die Schmerztherapie.
Bisher gibt es gegen starke Schmerzen nur eine wirksame Hilfe: Opioide. Diese Derivate des Opiums docken an den mu-Opioid-Rezeptoren in unserem Gehirn und Rückenmark an und unterdrücken so die Schmerzreize. Leider haben diese Schmerzmittel aber Nebenwirkungen: Sie machen abhängig und wirken in höheren Dosen atemlähmend. Letzteres geschieht, weil beim Andocken der Opioide noch ein zweiter, unerwünschter Signalweg aktiviert wird.
Fahndung unter drei Millionen Molekülen
Weltweit suchen Forscher daher schon länger nach einer Opioid-Alternative, die keine der typischen Nebenwirkungen zeigt – und am besten auch nicht süchtig macht. Aashish Manglik von der Stanford University und seine Kollegen haben für ihre Fahndung an der molekularen Basis angesetzt. Sie prüften gut drei Millionen bekannte Moleküle am Computer darauf, ob ihre Struktur eine Bindung an den mu-Rezeptor erlaubt.
Nach diesem virtuellen Screening blieben 23 Wirkstoffkandidaten übrig, die die Forscher in Laborversuchen testeten. Einer davon erwies sich dabei als besonders vielversprechend. Dieses PZM21 getaufte Molekül optimierten Manglik und seine Kollegen durch eine chemische Veränderung so weit, dass sie nun tausendfach stärker an den Opioid-Rezeptor band als zuvor. Eine solche feste Bindung ist eine Voraussetzung für eine stabil schmerzhemmende Wirkung.
So effektiv wie Morphin
Aber wie gut wirkt dieser Kandidat? Um das zu klären, spritzten die Forscher Mäusen entweder PZM21 oder als Vergleichsmittel Morphin und testeten, wie schmerzempfindlich die Pfote der Tiere auf Hitze reagierte. Das Ergebnis: PZM21 blockierte den Hitzeschmerz ebenso effektiv wie das Morphin – und wirkte sogar etwas schneller, wie Manglik und seine Kollegen berichten. Gleichzeitig hielt die Wirkung etwas länger an als bei Morphin.
Überraschend war eine weitere Beobachtung: Die mit PZM21 behandelten Mäuse empfanden zwar keine Schmerzen mehr, ihre schmerzbedingten Reflexe, darunter das schnelle Wegzucken des Schwanzes, funktionierten aber trotzdem noch. „Eine solche Trennung ist unter den Opioid-Analgetika einzigartig“, sagt Manglik.
Keine Atemlähmung oder Übelkeit
Noch wichtiger aber: Der neue Wirkstoff ruft offenbar keine Atemlähmung hervor. „Während Morphin die Atemfrequenz stark hemmte, war PZM21 nahezu ununterscheidbar von der Kontrolle mit reiner Salzlösung“, berichten die Wissenschaftler. Auch die bei Opioiden häufige Nebenwirkung der Verstopfung trat bei diesem Mittel nicht auf.
Wie die Forscher berichten, könnte dies an der extrem spezifischen Reaktion auf den neuen Wirkstoff liegen. Denn PZM21 fügt sich so in die Bindungstasche des mu-Rezeptors ein, dass nur die schmerzhemmende Reaktionskaskade ausgelöst wird, nicht aber der unerwünschte Signalweg. Zudem scheint das Mittel den sogenannten Kappa-Opioid-Rezeptor sogar zu hemmen – und das verhindert weitere Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Halluzinationen.
Scheint nicht abhängig zu machen
Ebenfalls vielversprechend: PZM21 scheint einen der größten Nachteile der bekannten Opioide nicht zu teilen: Es macht offenbar nicht abhängig. Sollten sich Mäuse zwischen dem Schmerzmittel und einer Placebo-Lösung entscheiden, besuchten sie nach dem Zufallsprinzip mal die eine, mal die andere Kammer, ohne eine klare Präferenz zu entwickeln. Bei Morphin und anderen Opioiden entwickeln sie dagegen schon nach kurzer Zeit eine Vorliebe für die Droge.
„Noch haben wir damit nicht abschließend bewiesen, dass PZM21 wirklich nicht abhängig macht“, betont Seniorautor Brian Shoichet von der University of California in San Francisco. „Wir haben aber gezeigt, dass zumindest Mäuse nicht besonders motiviert sind, dieses Mittel aktiv aufzusuchen.“ Sollten sich die positiven Eigenschaften dieses neuartigen Wirkstoffs in weiteren Tests bestätigen, könnte er einen echten Fortschritt für die Medizin bedeuten.
Ähnlich sieht es auch Brigitte Kieffer von der McGill University in einem begleitenden Kommentar: „Mit PZM21 kommen Manglik und seine Kollegen einem perfekten Opioid einen Schritt näher“, sagt sie. „Ihre Studie ist eine eindrucksvolle Demonstration dafür, dass neue Chemotypen ungewöhnliche biologische Chancen eröffnen können.“ (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature19112)
(Stanford University/ University of California – San Francisco, 18.08.2016 – NPO)