Nächtliches Löschen: Im Schlaf beseitigt unser Gehirn überschüssige Verbindungen zwischen Nervenzellen. Erst das schafft Platz für Neues – und unser Denkorgan kann tagsüber wieder flexibel auf Informationen reagieren. Fehlt dagegen der Schlaf, können Synapsen nicht verstärkt oder neu aufgebaut werden, berichten die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“. Die Folge: Wir lernen schlechter.
Gesunder Schlaf ist lebenswichtig: Der Körper braucht die Schlafphasen, um sich zu erholen und zu regenerieren. Auch das Gehirn nutzt diese Zeit effektiv. Es sortiert nachts all jene Dinge, die wir tagsüber gelernt haben und legt mit dem Abspeichern von Erinnerungen den Grundstein für Lernprozesse. Erst beim Schlafengehen gelangen neue Erkenntnisse vermutlich vom Arbeits- ins Langzeitgedächtnis.
Doch unser Denkorgan beschäftigt sich im Schlaf nicht nur mit neuen Dingen – es schafft auch Altes aus dem Weg. So deuten Studien an Mäusen daraufhin, dass das Gehirn während der Nacht regelrecht aufräumt und dabei molekulare Abfallstoffe ausschwemmt. Wissenschaftler um Marion Kuhn vom Universitätsklinikum Freiburg haben nun erstmals gezeigt, dass sich auch beim Menschen im Schlaf Aufräumprozesse abzuspielen scheinen.
Hohe Synapsenaktivität nach Schlafmangel
Die Forscher untersuchten für ihre Studie die Gehirnaktivität von zwanzig Probanden – einmal nach einer ausgedehnten nächtlichen Ruhephase und ein weiteres Mal nach Schlafentzug. Dafür reizten sie mithilfe einer Magnetspule über dem Kopf der Teilnehmer einen Bereich des Gehirns, der für die Steuerung eines Daumenmuskels zuständig ist. Außerdem werteten sie die unterschiedlichen Frequenzen der Hirnströme mittels Elektroenzephalografie-Messungen (EEG) aus.
Dabei zeigte sich: Nach einer Nacht ohne Schlaf bedurfte es eines deutlich schwächeren Reizes um eine Kontraktion des Muskels auszulösen als nach erholsamem Schlaf. Für die Wissenschaftler ist das ein Zeichen dafür, dass die Synapsen bei Schlafentzug auch nachts auf Hochtouren laufen und deshalb leichter erregbar sind. Schlaf dagegen scheint sie zu schwächen. Auch die Hirnströme deuteten auf eine höhere Gehirnaktivität nach Schlafentzug hin: Der Erholungsmangel führte zu einem deutlichen Anstieg sogenannter Theta-Wellen – ein weiteres Anzeichen erhöhter synaptischer Gesamtstärke, wie die Forscher berichten.
Löschen macht das Gehirn wieder fit
Weitere Experimente offenbarten, dass sich die kontinuierlich hohe Aktivität der Synapsen während der Nacht negativ auf die Verarbeitung neuer Informationen am Tag auswirkt. Im Verhaltenstest schnitten die übermüdeten Teilnehmer schlechter beim Neulernen von Wortpaaren ab und auch ihre Blutwerte waren auffällig: Nach Schlafentzug war der Spiegel des Wachstumsfaktors BDNF niedriger als nach erholsamem Schlaf. Dieser Botenstoff fördert die Neuverknüpfung von Nervenzellen.
Neue Verbindungen aufbauen und stärken zu können, ist Kuhn und ihren Kollegen zufolge für die Funktionsfähigkeit des Gehirns und vor allem für die sogenannte synaptische Plastizität von besonderer Bedeutung. Doch dies gelingt nur, wenn bereits bestehende Verbindungen zwischen Nervenzellen geschwächt werden: Indem es alte, unwichtig gewordene Verknüpfungen löscht, wehrt sich unser Denkorgan gegen Überladung und kann auf neue Reize adäquat reagieren.
Neuer Ansatz für Therapien?
„Es ist anzunehmen, dass praktisch alle Funktionen des Gehirns dadurch beeinflusst werden, wie etwa Emotionsregulation, Konzentration oder Lernen“, sagt Kuhns Kollege Christoph Nissen. Die Ergebnisse des Teams belegen erstmals, dass Schlaf diesen wichtigen Platz für neue Informationen schafft. „Wird dieser Prozess durch Schlafmangel unterbunden, gerät das Gehirn in einen Sättigungszustand. Synapsen können dann nicht mehr ausreichend verstärkt oder neu aufgebaut werden. Entsprechend schwer fallen auch Lernen und flexible Informationsverarbeitung“, so Nissen.
Die neuen Erkenntnisse könnten den Wissenschaftlern zufolge auch zur Entwicklung neuer Therapien beitragen. Bei Erkrankungen wie depressiven Störungen oder nach einem Schlaganfall ist es wichtig, synaptische Verschaltungen im Gehirn zu verändern. Hierzu könnte unter anderem eine gezielte Beeinflussung des Schlaf-Wach-Verhaltens genutzt werden, schließt das Team. (Nature Communications, 2016; doi: 10.1038/ncomms12455)
(Universitätsklinikum Freiburg, 24.08.2016 – DAL)