Clevere Vögel: Eine nur auf Hawaii vorkommende Krähenart erweist sich als wahrer Meister der Werkzeugnutzung. Die Vögel hantieren geschickt mit Stöckchen, um Futter aus Löchern und Spalten zu pulen und erkennen sofort, welche Werkzeuge passen und welche nicht. Das Erstaunliche daran: Die hawaiianischen Krähen besitzen dieses Geschick von Natur aus, sie müssen es nicht erst lernen, wie Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Die Nutzung von Werkzeugen ist bei Tieren extrem selten: Nur bei einem Prozent aller bekannten Tierarten hat man diese Fähigkeit bisher beobachtet, darunter vor allem bei Primaten und Vögeln. Bekannt sind die Goffini-Kakadus, die sich Werkzeuge selbst basteln und sogar Tresore knacken können. Die neukaledonischen Geradschnabelkrähen (Corvus moneduloides) hantieren sogar mit mehreren Werkzeugen hintereinander und verstehen selbst versteckte Ursachen.
Fund auf Hawaii
Seltsamerweise konnte man aber bei keiner der anderen gut 40 Krähenarten ein ähnliches Verhalten beobachten – bis jetzt. Auf der Suche nach weiteren Werkzeugnutzern hatten Christian Rutz von der University St. Andrews und seine Kollegen sich gezielt Krähenarten angeschaut, die wie die neukaledonischen Krähen einen sehr geraden Schnabel besitzen. „Denn das könnte eine Anpassung an Werkzeuge sein, ähnlich wie bei uns der opponierbare Daumen“, so Rutz.
Auf Hawaii wurden die Forscher fündig. Dort leben in zwei Zuchtstationen die letzten 109 verbliebenen Exemplare des ‚Alalā (Corvus hawaiiensis). Diese Krähenart ist seit gut 15 Jahren im Freiland ausgestorben, soll aber wieder ausgewildert werden. Die Biologen der Station hatten zwar schon häufiger ihre Krähen mit Stöcken im Schnabel gesehen, dachten sich aber nichts dabei.
Souverän herausgepult
Rutz und seine Kollegen stellten die ‚Alalās auf die Probe: In einem Baumstamms mit sechs verschieden Löchern und schmalen Spalten wurde Futter versteckt, das die Vögel nur mit Hilfe von Werkzeugen herausangeln konnten. Kein Problem für die cleveren Krähen: Innerhalb von Minuten und meist im ersten Anlauf hatten die Vögel das begehrte Futterstück aus dem Baumstamm gepult, wie die Biologen berichten.
Und nicht nur das: Die geschickten Vögel erkannte auch sehr schnell, welches Werkzeug für welche Aufgabe geeignet war. Sie wählten den passenden Stock aus und transportierten ihn im Zweifelsfall sogar von weiter her zum Baumstamm. War das Werkzeug zu lang oder gegabelt, kürzten sie es kurzerhand mit dem Schnabel auf die passende Länge. Einige Krähen stellten sich sogar eigenständig neue Werkzeuge aus Pflanzenmaterial her.
Ungewöhnlich geschickt – von Natur aus
„Werkzeuge zu nutzen scheint ganz natürlich für die ‚Alalās zu sein“, sagt Koautor Bryce Masuda vom San Diego Zoo. „Diese Vögel hatten keinerlei vorheriges Training, trotzdem waren die meisten von ihnen unglaublich geschickt darin, die Stöcke zu handhaben.“ Selbst Jungvögel lösten die Werkzeug-Aufgaben ohne Probleme. Die Experimente belegten, dass die Hälfte der Küken dieses Verhalten spontan entwickelte, ohne es bei den erwachsenen Artgenossen abzugucken.
Nach Ansicht der Forscher sind die hawaiianischen Krähen damit gleich in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich: Bei ihnen beherrschen nahezu alle erwachsene Vögel die Werkzeugnutzung, sie lösen selbst komplexe Aufgaben sehr schnell und benötigen dabei keinerlei Training. Damit sind sie den eng mit ihnen verwandten Raben weit voraus, wie Rutz und seine Kollegen erklären. Raben müssen die Werkzeugnutzung erst lernen und sind wesentlich ungeschickter.
Typisch für Inselbewohner?
Spannend auch: Die ‚Alalās sind mit den neukaledonischen Geradschnabelkrähen nur sehr entfernt verwandt. „Ihr letzter gemeinsamer Vorfahre lebte vor rund elf Millionen Jahren“, erklärt Rutz. „Es scheint daher naheliegend, dass sich das Geschick im Umgang mit Werkzeugen bei beiden Arten unabhängig voneinander entwickelte.“
Warum aber sind ausgerechnet diese beiden Krähenarten so geschickte Werkzeugnutzer? Die Forscher vermuten, dass dies mit ihrer Umwelt zusammenhängen könnte. Denn beide Vogelarten leben auf relativ isolierten tropischen Inseln, auf denen es keine oder nur wenige Spechte gibt. Damit haben diese Krähen wenig Konkurrenz beim Erbeuten von in Holz lebenden oder anderweitig eingegrabenen Insekten.
Der spezielle Lebensraum dieser Inselkrähen könnte nach Ansicht der Forscher erklären, warum gerade sie zu geschickten Werkzeugnutzern wurden. Gleichzeitig liefere dies Hinweise darauf, wo man noch nach weiteren Vögeln mit diesen Fähigkeiten suchen könnte. (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature19103)
(University of St. Andrews, 15.09.2016 – NPO)