Bildung

Ig-Nobelpreise 2016 verliehen

Jucken vorm Spiegel, VW und die Persönlichkeit von Steinen

Der Ig-Nobelpreis soll erst zum Lachen, dann zum Nachdenken anregen © Improbable Research

Erst lachen, dann nachdenken: Gestern Abend wurden die diesjährigen Ig-Nobelpreise verliehen. Sie zeichnen Forschung aus, die auf den ersten Blick skurril scheint, aber durchaus wertvolle Erkenntnisse bringt. In diesem Jahr unter anderem dabei: Polyester-Unterhosen als Verhütungsmittel, die Persönlichkeit von Steinen und ein Spiegeleffekt beim Jucken. Eher zynisch: VW bekommt den Chemie-IG-Nobelpreis für seine Abgasmauscheleien.

Jeweils Mitte September, rund zwei Wochen vor den „echten“ Nobelpreisen, werden die Ig-Nobelpreise verleihen. „Die Preise sollen das Ungewöhnliche feiern, das Einfallsreiche ehren – und das Interesse der Menschen an Wissenschaft, Medizin und Technologie wecken“, heißt es auf der Seite des IG-Nobelpreises. Ausgezeichnet werden dabei legitime, in renommierten Journalen veröffentliche Arbeiten, die aber das „gewisse Etwas“ haben.

Medizin: Juckender Spiegeleffekt

Den Ig-Nobelpreis für Medizin bekommen Christoph Helmchen von der Universität Lübeck und seine Kollegen für die Entdeckung eines verblüffenden Effekts: Wenn es uns an der linken Körperseite juckt, geht das Jucken weg, wenn wir uns vor den Spiegel stellen und auf der rechten Seite kratzen. Offenbar trickst das seitenverkehrte Spiegelbild unser Gehirn so aus, dass es auf das Kratzen an der nicht betroffenen Seite reagiert.

Diese Entdeckung hat durchaus medizinische Relevanz, wie die Forscher erklären: Patienten, die an hartnäckigen Ekzemen leiden, können sich so Erleichterung verschaffen, ohne dass sie die betroffenen Hautstellen aufkratzen und ihr Leiden so verschlimmern. Denn gekratzt wird ja an der gegenüberliegenden Seite.

VW-Skandal als zynisches Lehrstück

Den Ig-Nobelpreis für Chemie verlieh die Jury dem Konzern Volkswagen. In der Begründung heißt es: „Für die Lösung des Problems exzessiver Autoabgase durch die automatische Verringerung der Emissionen immer dann, wenn die Autos getestet wurden.“ VW habe damit zumindest in den Zeiten der Abgastests die Emissionen reduziert.

Wie lebt es sich als Bergziege? Thomas Thwaites wollte es hautnah erleben. © mihtiander/iStock.com

Biologie: Leben als Tier

Der Ig-Nobelpreis für Biologie geht an zwei Männer, die das Leben und die Erfahrungen wilder Tiere auf besonders unmittelbare Weise erleben wollten. Charles Foster zog dafür in den Wald und lebte jeweils für einige Zeit als Fuchs, als Reh, als Otter oder als Dachs. Er fing dafür Fische mit den Zähnen, aß Würmer und versuchte, seine Umwelt mit der Nase statt mit den Augen wahrzunehmen.

Thomas Thwaites passte sich für seine Verwandlung ins Tier sogar körperlich an: Er konstruierte beinverlängernde Prothesen, mit denen er umherlaufen und klettern konnte wie eine Bergziege. In den Alpen lebte er dann als Teil einer Ziegenherde, fraß Gras und tauschte – mit einem Helm geschützt – Kopfstöße mit Ziegenböcken aus.

Reproduktion: Polyester als Verhütungsmittel

Ahmed Shafik von der Universität Kairo bekommt den Ig-Nobelpreis für Reproduktionsmedizin für seine Forschung zur Wirkung von Polyester auf die Fruchtbarkeit von Ratten und Männern. Wie er herausfand, kann der Kunststoff ein elektrostatisches Feld rund ums Gemächt erzeugen, das die Spermienproduktion hemmt. Bei Männern, die sechs Monate lang ein Polyester-Suspensorium trugen, wirkte dies wie ein Verhütungsmittel: Ihr Ejakulat war spermienfrei.

Psychologie: Lügen im Lebensverlauf

Für ihre Erforschung des Lügens erhalten Evelyne Debey von der Universität Gent und ihre Kollegen den Ig-Nobelpreis für Psychologie. Für ihre Studie stellten sie gut tausend Lügner aller Altersklassen und beider Geschlechter auf den Prüfstand. Sie wollten wissen, wie häufig und wie gut der Mensch in verschiedenen Phasen seines Lebens lügt.

Das Ergebnis: „Wir haben festgestellt, dass das Geschick im Lügen im Kindesalter allmählich zunimmt, bei jungen Erwachsenen ihren Höhepunkt erreicht und dann im Verlauf des Erwachsenenlebens wieder abnimmt“, berichten Debey und ihre Kollegen. Ähnlich verhält es sich mit der Häufigkeit des Lügens. Das aber bedeutet: Weil viele Studien zum Lügen an Studenten durchgeführt werden, sind sie nur bedingt aussagekräftig.

Kopfüber: Sehen wir die Welt anders, wenn wir kopfüber durch unsere Beine schauen? © Gyula Gyukli/iStock.com

Wahrnehmung: umgekehrter Weltblick

Den Ig-Preis für Wahrnehmung bekommen Atsuki Higashiyama und Kohei Adachi. Sie wollten wissen, ob sich unsere Größenwahrnehmung und die Einschätzung von Entfernungen verändert, wenn wir vornübergebeugt durch unsere Beine hindurch nach hinten sehen. Es zeigte sich: Die Kopfüber-Stellung beeinflusst tatsächlich unsere Wahrnehmung. Entscheidend dafür ist aber weniger der umgekehrte Seheindruck als vielmehr die propriozeptive Rückmeldung unseres Körpers.

Physik: Weiße Pferde und Blutsauger

Den Ig-Nobelpreis für Physik bekommen Gábor Horváth von der Eötvös Universität und seine Kollegen für die Entdeckung einer überraschenden Eigenschaft von weißem Pferdefell. Wie sie herausfinden, depolarisiert das Fell das Sonnenlicht und sorgt so dafür, dass blutsaugende Fliegen Schimmel weniger häufig stechen als braune oder schwarze Pferde.

Wirtschaft: Steine mit Persönlichkeit

Im Marketing existiert das gängige Konzept der Markenpersönlichkeit – die Idee, dass Menschen auch Objekten und Marken Atribute zuschreiben, die sonst eher Menschen charakterisieren. Sie empfinden sie beispielsweise als ehrlich, erfolgreich, fröhlich, elitär oder auch männlich. Mark Avis von der Massey University in Neuseeland und seine Kollegen haben dieses Konzept auf ungewöhnliche Weise einer kritische Hinterfragung unterzogen – und bekommen dafür den Ig-Nobelpreis für Wirtschaft.

Die Forscher legten ihren Probanden verschiedene Steine vor – einen rauen Felsbrocken, ein Stück Obsidian und einen lilafarbenen Amethyst und baten sie, diesen Steinen bestimmte Eigenschaften zuzuordnen. Und tatsächlich: Selbst bei Eigenschaften wie „familienorientiert“, „jung“, „erfolgreich“ oder „Führungspersönlichkeit“ hatten die Probanden klare Favoriten unter den drei Steinen.

(Improbable Research, 23.09.2016 – NPO)

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