Medizin

Masern: Tückische Spätfolge häufiger als gedacht?

Risiko für tödliche Gehirnentzündung steigt mit jungem Erkrankungsalter

Unterschätzter Krankheitserreger: Masern-Virus unter dem Elektronenmikroskop © CDC/ Cynthia S. Goldsmith, William Bellini

Späte Komplikation: Die sogenannte Panenzephalitis kann als Spätfolge einer Maserninfektion auftreten und endet fast immer tödlich. Eine Datenanalyse mit Fallzahlen aus Kalifornien legt nun nahe, dass diese Gehirnentzündung womöglich häufiger auftritt als bisher vermutet. Vor allem bei Kindern, die bereits vor ihrem ersten Lebensjahr an Masern erkranken, ist das Risiko für die Komplikation demnach erstaunlich hoch: Rund einer von 600 dieser Patienten leidet später daran.

Masern sind alles andere als eine harmlose Kinderkrankheit: Die Viren gehören zu den ansteckendsten Erregern überhaupt und können weit mehr als die typischen roten Hautflecken und Fieber verursachen. Im Extremfall kommt es bei einer Infektion zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie Lungen- und Hirnentzündungen, die geistige Behinderungen verursachen oder sogar zum Tod führen.

Zu den schwersten Folgen einer Masernerkrankung gehört die sogenannte subakute sklerosierende Panenzephalitis, kurz SSPE. Oft erst Jahre nach der ersten Infektion mit den Viren entwickeln betroffene Patienten eine schwere Entzündung des gesamten Gehirns. Dabei werden die Myelinscheiden um die Nervenfasern zerstört – der Verlauf endet fast immer tödlich.

Tückische Spätfolge

SSPE ist eine gravierende Spätkomplikation der Masern, sie gilt jedoch als selten. Neue Daten von Wissenschaftlern um James Cherry von der University of California in Los Angeles legen nun allerdings nahe: Die Panenzephalitis könnte häufiger sein als gedacht. Gingen Experten früher davon aus, dass einer von 100.000 Maserninfizierten später an der Hirnentzündung erkrankt, fanden Forscher für Deutschland kürzlich eine Quote von einem Betroffenen aus 1.700 bei unter fünfjährigen Masernpatienten heraus.

Die Zahlen von Cherry und seinen Kollegen zeichnen ein noch düstereres Bild. Das Team hat sich für seine Untersuchung auf SSPE-Fälle im US-Bundesstaat Kalifornien konzentriert, die zwischen 1998 und 2016 auftraten. Dabei zeigte sich, dass in diesem Zeitraum insgesamt siebzehn Menschen an der Gehirnentzündung erkrankten – alle hatten als Kleinkind die Masern gehabt.

Einer von 600 wird krank

Je früher sich die Patienten infizierten, desto größer war offenbar ihr Risiko, später eine SSPE zu entwickeln. So ergab die Auswertung der Forscher: Von den Kindern, die sich in Kalifornien in einem Alter von unter fünf Jahren mit den Masern infizierten, erkrankte eines von 1.387 im späteren Leben an der Hirnentzündung.

Bei Kindern, die bereits im ersten Lebensjahr die Masern gehabt hatten, war die Quote höher: Bei ihnen litt sogar eines von rund 600 an der schweren Spätfolge der Kinderkrankheit. „Das ist wirklich alarmierend und zeigt, das Impfen Leben retten kann“, sagt Cherry. Weil es keine Therapie gegen die Panenzephalitis gebe, sei die Masernimpfung der einzige Schutz vor der Erkrankung.

Nur impfen hilft

Nur wenn sich möglichst viele Menschen impfen lassen, müssen auch diejenigen, die wegen ihres Gesundheitszustands oder zu jungen Alters nicht geimpft werden können, keine Angst vor einer Maserninfektion und den möglichen Spätfolgen haben, betonen die Wissenschaftler: „Das heißt, dass mindestens 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sein müssen.“

Bei dieser Impfquote ist laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die sogenannte Herdenimmunität erreicht und das Virus kann vollends gestoppt werden. Es findet dann nicht mehr genügend Wirte, um sich weiter zu vermehren und auszubreiten.

Schutz in Deutschland lückenhaft

Von diesem Ziel ist Deutschland jedoch noch immer weit entfernt, wie eine aktuelle Studie von Jörg Bätzing-Feigenbaum und seinen Kollegen vom Versorgungsatlas des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland zeigt. Demnach sind hierzulande nur 63 Prozent aller Kleinkinder vor Vollendung des zweiten Lebensjahres komplett gegen Masern geimpft.

Das heißt: Mehr als 73.000 Kinder aus den Geburtsjahrgängen 2009 bis 2012 sind nicht gegen die Krankheit geschützt. Zahlreiche Masern-Ausbrüche und knapp 2.500 gemeldete Fälle im Jahr 2015 belegen, dass der Impfschutz in vielen Teilen des Landes löchrig ist: „Diese Impflücken können in Kindertagesstätten und -horten fatale Folgen haben, wenn die Infektion eingeschleppt wird“, sagt Bätzing-Feigenbaum. So war Anfang 2015 erstmals seit vielen Jahren in Deutschland wieder ein nicht geimpftes Kleinkind an Masern verstorben. (Infectious Diseases Society of America, Meeting 2016; Abstract)

(Infectious Diseases Society of America, Versorgungsatlas, 31.10.2016 – DAL)

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