Katastrophe rekonstruiert: Was bei dem verheerenden Ausbruch des Santorini-Vulkans vor rund 3.600 Jahren tatsächlich geschah, haben Forscher nun herausgefunden. Entgegen bisherigen Annahmen löste nicht der Kollaps der Caldera die zerstörerischen Tsunamis aus. Stattdessen waren es die rasend schnellen Glutlawinen der Eruption, die das östliche Mittelmeer in Aufruhr brachten, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Natur Communications“ berichten.
Der Vulkanausbruch von Santorini war eine der größten Katastrophen der europäischen Bronzezeit. Die explosive Eruption um 1600 vor Christus zerriss die griechische Insel Thera und hüllte weite Teile des östlichen Mittelmeers in Asche und Rauch. Die Folgen dieser Katastrophe trugen wahrscheinlich zum Ende der Minoer bei – der ersten Hochkultur Europas.
Tsunami durch Caldera-Kollaps?
Geologische Funde auf Kreta, an der Westküste der Türkei und sogar in Israel sprechen dafür, dass der Ausbruch damals auch einen Tsunami auslöste. An der Nordküste von Kreta könnte die Flutwelle mindestens neun Meter Höhe erreicht haben. Wodurch dieser Tsunami ausgelöst wurde und wann im Eruptionsverlauf dies geschah, blieb jedoch unklar.
Die meisten Forscher gehen bisher davon aus, dass ein Kollaps der Caldera den Tsunami verursachte. Große Mengen Gestein vom Kraterrand stürzten dabei innerhalb und außerhalb der Caldera ins Meer und verdrängten dabei schlagartig große Wassermassen – ein todsicheres Rezept für gewaltige Flutwellen.
Ausbruch in vier Phasen
Ob sich die bronzezeitliche Katastrophe tatsächlich so abspielte, haben nun Paraskevi Nomikou von der Universität Athen und seine Kollegen untersucht. Sie werteten Sonar-Messungen und seismische Daten des Meeresgrunds im Umfeld der Santorini-Caldera aus, um den Verlauf der Eruption zu rekonstruieren. Von der Caldera ist heute ein zehn mal sieben Kilometer weites Kraterbecken übrig, das über drei Durchbrüche mit dem offenen Meer verbunden ist.
Die Rekonstruktion ergab, dass sich der Vulkanausbruch in vier Phasen abspielte. Im ersten wurden in einer explosiven Eruption Lava, Asche und Gase aus einem unterirdischen Schlot ausgeschleudert. Dann drang Wasser in den Schlot ein und zwei heftige Wasserdampf-Explosionen folgten. In der Endphase strömten rasend schnelle pyroklastische Ströme aus und bedeckten die gesamte Umgebung mit Lava, Staub und Asche.
Kein Wasser in der Caldera
Das Entscheidende jedoch: Die Analysen der Forscher ergaben, dass der Vulkankrater am Ende der dritten Eruptionsphase völlig trocken lag. Die heftigen Wasserdampfexplosionen hatten das gesamte Meerwasser verdampfen lassen und der aufgeworfene Kraterrand verhinderte, dass frisches Wasser nachströmte.
Das bedeutet: Als in Phase 4 die Caldera kollabierte, stürzten die Gesteinsbrocken nicht ins Wasser, sondern größtenteils in den trockenen Innenbereich des Kraters. „Aber eine Tsunami-Entstehung durch einen Caldera-Kollaps erfordert, dass die Caldera geflutet ist und mit dem offenen Meer in Kontakt steht“, sagen Nomikou und seine Kollegen. Nur dann wird in kurzer Zeit genügend Wasser verdrängt, um die Flutwellen auszulösen.
Pyroklastischer Strom statt Caldera-Kollaps
Nach Ansicht der Forscher kann daher ein Kollaps der Santorini-Caldera nicht die Ursache für den verheerenden Tsunami gewesen sein. Stattdessen müssen die heftigen pyroklastischen Ströme während der Eruption die Flutwellen ausgelöst haben. Von ihnen zeugen noch heute bis zu 60 Meter hohe Ablagerungen am Meeresgrund vor Santorini.
Den Berechnungen der Wissenschaftler nach rasten beim Ausbruch von Thera Tonnen glühenden Gesteins und Gas mit bis zu 700 Kilometern pro Stunde die Außenhänge des Vulkans hinunter und brachten genügend Masse und Energie mit sich, um den Tsunami zu erzeugen. Verstärkt wurde dies vermutlich durch nachträgliches Abrutschen der erkaltenden Gesteinsmassen.
Die Flutung kam erst später
„Eine Verbindung der Caldera zum Meer gab es dagegen erst wieder nach Ende der Eruption“, berichten Nomikou und seine Kollegen. Im Nordwesten des Kraters gab die Tuffbarriere nach und Wasser strömte unter hohem Druck durch die Bresche. Die Kraft des Wassers schob mehr als zwei Kubikkilometer Gestein vor sich her und füllte das riesige Vulkanbecken in weniger als zwei Tagen.
„Der Einstrom erzeugte zwar Wellen von gut 200 Metern Höhe in der Caldera, aber keine signifikanten Wellen außerhalb“, berichten die Forscher. (Nature Communications, 2016; doi: 10.1038/ncomms13332)
(Nature, 09.11.2016 – NPO)