Genetik

Wo blieb die Neandertaler-DNA?

Selektionsdruck löschte viele Neandertaler-Gene aus dem menschlichen Erbgut

Schädel eines Homo sapiens und eines Neandertalers im Vergleich: Unsere frühen Verwandten vererbten unseren Vorfahren einst zahlreiche Gene. © Hairymuseummatt/ CC-by-sa 2.0

Verschwundenes Erbe: Neandertaler gaben unseren Vorfahren einst zahlreiche Gene weiter. Doch ein Großteil dieses durch Kreuzungen vererbten Guts wurde im Laufe der Evolution wieder gelöscht. Schuld daran war offenbar die stärkere Populationsgröße der modernen Menschen, wie Forscher nun berichten. Schwache Genvarianten, die bei der kleinen Neandertaler-Population auch durch Selektion nicht beseitigt werden konnten, hatten beim Menschen dagegen keine Chance.

Die Neandertaler sind vor rund 35.000 Jahren ausgestorben – ein Teil von ihnen lebt jedoch in uns weiter: Die Frühmenschen haben im Erbgut moderner Menschen ihre Spuren hinterlassen. Wir Europäer tragen zum Beispiel rund zwei Prozent Neandertaler-DNA in uns, weil sich einige unserer Vorfahren mit Neandertalern paarten und Kinder zeugten.

Begonnen hat das Techtelmechtel vor rund 50.000 bis 80.000 Jahren, als unsere Vorfahren den afrikanischen Kontinent verließen und sich in Europa und Asien ausbreiteten, wo sie auf die Neandertaler stießen. Während dieser Zeit kam es immer wieder zur erfolgreichen Fortpflanzung zwischen den eng verwandten Arten. Trotzdem setzte sich ein Großteil des vererbten Neandertaler-Erbguts langfristig bei uns nicht durch – es verschwand wieder.

Was geschah mit der Neandertaler-DNA?

Warum aber kam es nicht zu einer stärkeren Verschmelzung beider Arten – und auf welche Weise verlor der moderne Mensch das genetische Material seines Verwandten? Um diese Frage zu klären, haben Wissenschaftler um Ivan Juric von der University of California in Davis mithilfe statistischer Methoden untersucht, wie sehr die Neandertaler-Spuren im Genom moderner Menschen natürlicher Selektion unterlagen.

Eine Hypothese geht davon aus, dass bestimmte vererbte Allele mit dem menschlichen Genom schlichtweg nicht kompatibel waren. Die Nachkommen solcher zwischenartlichen Beziehungen wären demzufolge aus evolutionärer Sicht unfit und zum Beispiel unfruchtbar gewesen – die Evolution hätte einer weiteren Vermischung dann ein schnelles Ende gesetzt.

Viele verschiedene Gensequenzen der Neandertaler verschwanden im Laufe der Zeit ganz allmählich wieder aus dem menschlichen Erbgut. © iStock.com

Die Populationsgröße macht den Unterschied

Das Team um Juric kommt zu einem anderen Ergebnis. Die Analysen des Teams offenbaren: Im Laufe der Zeit sind keineswegs ganz bestimmte Neandertaler-Gene möglichst schnell aussortiert worden. Stattdessen zeigte sich ein schwacher, aber breitgefächerter Selektionsdruck gegen viele verschiedene Gensequenzen, die ganz langsam aus dem Genom moderner Menschen entfernt wurden.

Eine Erklärung für dieses allmähliche Verschwinden der Neandertaler-DNA könnten den Forschern zufolge die Populationsgrößen der beiden Arten sein: In der vergleichsweise kleinen und isolierten Neandertaler-Population konnten selbst jene genetischen Varianten verbreitet bleiben, die womöglich zu einem gewissen Grad schädlich oder zumindest nicht optimal waren. In der größeren Population der modernen Menschen konnten diese Varianten dann jedoch nicht mehr überleben. Denn es gab mehr Auswahl an „besseren“ Genvarianten.

Effektivere Selektion gegen schwache Varianten

„Die menschliche Population war deutlich in der Überzahl. Das ist bedeutend, weil die Selektion schädliche Varianten in größeren Populationen viel effizienter beseitigen kann als in kleinen“, sagt Juric. „Schwache Varianten, die bei den Neandertalern überdauern konnten, konnten das beim Menschen nicht. Wir glauben, dass dieser einfache Zusammenhang das Muster erklären kann, das wir heute im menschlichen Genom sehen.“

Zwar könnten zusätzlich auch andere Mechanismen eine Rolle gespielt haben. „Doch falls die Neandertaler in Europa zahlreicher gewesen wären oder die Populationen moderner Menschen langsamer gewachsen wären, würden manche von uns heute sicherlich wesentlich mehr Neandertaler-Spuren in ihrem Genom tragen“, schließen die Wissenschaftler. (PLOS Genetics, 2016; doi: 10.1371/journal.pgen.1006340)

(PLOS/ University of California, Davis, 09.11.2016 – DAL)

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