Überraschender Effekt: Die Alpen wachsen jedes Jahr um ein bis zwei Millimeter. Doch der Grund dafür ist ein ganz anderer als bislang vermutet. Nicht die anhaltende Kollision Europas und Afrikas hebt das Gebirge in die Höhe und auch nicht eine Entlastung durch Erosion. Stattdessen ist das Abtauen des eiszeitlichen Eispanzers der Grund für das andauernde Wachstum der Alpen, wie Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.
Geologisch gesehen sind die Alpen ein sehr junges Gebirge. Erst vor rund 30 Millionen Jahren schob sich die nordwärts wandernde Afrikanische Platte so weit unter Europa, dass sich die Erdkruste auffaltete und ein Gebirge entstand – die Alpen. Teile des Gebirges schnellten sogar fast ruckartig in die Höhe. Noch heute wachsen die Alpen jedes Jahr um ein bis zwei Millimeter in die Höhe.
Tektonik, Erosion oder Eiszeit-Effekt?
Bisher ging man davon aus, dass dafür einerseits die anhaltende Plattenkollision verantwortlich ist, andererseits die Gewichtsentlastung durch eine Abtragung von Gestein durch Erosion. Bei älteren und weiter nördlich liegenden Gebirgen wie in Skandinavien oder Nordamerika kommt ein weiterer Effekt hinzu: Das Zurückfedern der Erdkruste nach dem Abschmelzen der Eiszeitgletscher. Die Alpen jedoch galten bisher als bei der Eiszeit zu wenig vergletschert, um von diesem Effekt betroffen zu sein.
Was die Alpen tatsächlich ansteigen lässt, haben nun Jürgen Mey vom Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam und seine Kollegen genauer untersucht. Für ihre Studie werten sie Daten zum Sedimentabtrag, der eiszeitlichen Vergletscherung und der lokalen Tektonik aus und ermittelten mit Hilfe von Computermodellen deren Anteil an der Vertikalbewegung der Alpen.
90 Prozent kommt vom schwindenden Eis
Das überraschende Ergebnis: Die Hebung der Alpen wird keineswegs von Sedimentabtrag und Tektonik bestimmt. Stattdessen dominiert – wie bei erheblich älteren Gebirgen – der „Rebound“-Effekt der nacheiszeitlichen Eisschmelze. Er ist für 90 Prozent der heutigen Hebung verantwortlich, wie die Forscher berichten.
Die Modellrechnungen ergaben, dass die glaziale Auflast während des Höhepunkts der letzten Eiszeit vor rund 18.000 Jahren bei etwa 62.000 Gigatonnen lag – das ist deutlich mehr als bisher angenommen. Als mit dem Ende der Eiszeit dieses Gewicht bis auf wenige Gletscherreste verschwand, sorgte die Entlastung für ein Zurückfedern der Erdkruste.
Die Abtragung von Gestein durch die Erosion ist den neuen Ergebnissen nach nur für rund zehn Prozent der Hebung verantwortlich. Und die Tektonik wirkt sich noch weniger stark aus: Sie kommt vor allem lokal zum Tragen wie Mey und seine Kollegen berichten. In Teilen Österreichs beispielsweise sorgt eine Drehbewegung der Adriatischen Teilplatte für eine Hebung der dortigen Alpen. (Nature Communications, 2016; doi: 10.1038/ncomms13382)
(Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ, 10.11.2016 – NPO)