Sex vor der Kamera: Erstmals haben Biologen die winzigen Bärtierchen bei der Paarung beobachtet. Ihre Aufnahmen enthüllen, dass der Sex der Tardigraden überraschend komplex und langanhaltend ist. So vollführen beide Partner ein ausgiebiges Vorspiel, bei dem sie sich gegenseitig stimulieren. Erst dann kommt es zur Befruchtung der Eier.
Bärtierchen sind faszinierende Lebewesen: Die winzigen Tiere kommen im Meer, in Süßwasser und sogar in feuchtem Moos vor und können selbst lange Trockenperioden schadlos überstehen. Sogar nach 30 Jahren eingefroren im Eis krabbeln die kleinen Tardigraden wieder umher. Einzigartige Proteine und Gene lassen sie zudem schadlos kochende Hitze, Druck, ätzende Säuren und harte Strahlung überstehen.
Voyeure im Dienst der Wissenschaft
Doch über den Lebenszyklus und das Paarungsverhalten dieser weniger als einen Millimeter kleinen Tiere ist bisher nur wenig bekannt. Um das zu ändern, haben Jana Bingemer von Universität Stuttgart und ihre Kollegen sich nun auf die Lauer gelegt: Sie wollten die widerstandsfähigen Winzlinge in Flagranti ertappen und beim Sex filmen. Dafür trennten sie die Geschlechter erst und setzen die Tardigraden der Art Isohypsibius dastychi dann vor der Kamera wieder zusammen.
Und es gelang: 30 Bärtierchenpaare filmten die Forscher bei der Paarung – und gewannen dabei einzigartige und überraschende Erkenntnisse über das Sexualverhalten dieser ungewöhnlichen Tiere. Dabei zeigte sich: Der Geschlechtsakt und das Paarungsverhalten der Bärtierchen sind viel komplexer als bisher vermutet.
Ausgiebiges Vorspiel
„Für uns überraschend war das Vorspiel, das zwischen den Bärtierchenpaaren stattfand“, berichtet Bingemer. „Die Partner stimulieren sich wechselseitig: Das Männchen legt sich dabei um den Kopf des Weibchens und hält sich dort mit seinem ersten Beinpaar fest.“ In dieser Position liegt das Geschlechtsorgan des Männchens in der Nähe der Mundöffnung des Weibchens.
Dann stupst das Weibchen ihren Partner so lange leicht mit ihren stilettartigen Mundwerkzeugen an, bis dieser seinen Samen ejakuliert. Dieser Vorgang wiederholt sich mehrfach während der bis zu einer Stunde andauernden Paarung.
Befruchtung in alter Hauthülle
Eine weitere Besonderheit: Der Sex löst direkt die Eiablage des Weibchens aus. Die Befruchtung der Eier erfolgt dann außerhalb ihres Körpers, aber noch innerhalb des sogenannten Häutungshemds. Denn die Tardigraden-Weibchen stehen bei der Geschlechtsreife kurz vor einer Häutung, ihre alte Haut bildet eine lose Hülle um ihren Körper. Erfolgt die Paarung, legt das Weibchen ihre Eier in diese alte Hauthülle ab. Dort treffen Samen und Eier zusammen und die Befruchtung erfolgt.
Taucht zum passenden Zeitpunkt kein Männchen auf, häutet sich das Weibchen ohne ihre Eier abzulegen. Die Eier bleiben stattdessen im Körper und werden binnen weniger Tage resorbiert. „Dies zeigt uns, dass sich die Bärtierchen auch in ihrem Fortpflanzungsverhalten extrem effektiv verhalten – Energie wird nur aufgewandt, wenn es sich auch lohnt“, sagt Karin Hohberg vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz. (Zoological Journal of the Linnean Society, 2016; doi: 10.1111/zoj.12435)
(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, 12.12.2016 – NPO)