Erbitterte Kämpfe: Web-Bots reagieren menschlicher als man denkt – und scheinen dabei sogar kulturell geprägt zu sein. Wie Forscher herausfanden, verstricken sich nützliche Web-Bots in teilweise endlose Fehden miteinander. Auf Wikipedia beispielsweise sorgen Konflikte zwischen Editier-Robotern erstaunlich häufig dafür, dass Einträge ständig hin und her geändert werden. Selbst vermeintlich „dumme“ Webtools können demnach überraschend komplexe Interaktionen eingehen, berichten die Forscher im Fachmagazin „PloS ONE“.
Mit Bots assoziieren wir heute vor allem die Programme, die automatisiert Nachrichten auf Twitter oder in sozialen Medien verbreiten – beispielsweise um bestimmte Meinungen publik zu machen oder sogar Wahlen zu beeinflussen. Studien zufolge stammen zeitweilig bis zu einem Drittel aller Tweets von Bots.
Nützliche Helfer
Doch dies ist nur eine Seite der Medaille. Denn längst tragen nützliche Web-Bots in großem Maße dazu bei, dass das Ökosystem Internet überhaupt funktioniert. „Eine immer größere Zahl von Entscheidungen, Angeboten und Dienstleistungen hängt heute von Bots ab, um korrekt, effizient und erfolgreich arbeiten zu können“, erklären Milena Tsvetkova von der University of Oxford und ihre Kollegen.
So stützen sich beispielsweise Suchmaschinen auf robotische Web-Crawler, Facebook und Co setzen Bots ein, um verbotene Inhalte auf ihren Seiten aufzuspüren und Seiten wie Wikipedia nutzen Editier-Roboter, um Inhalte von einer Sprache in die andere zu übertragen, Copyright-Verfehlungen zu erkennen oder Links einzufügen. „Dennoch wissen wir nur sehr wenig über das Leben und die Entwicklung unserer digitalen Lakaien“, sagen die Forscher.
Wenn Bots interagieren
Klar schien bisher: Bots sind eher berechenbare Automaten, die weder die Fähigkeit zu Emotionen besitzen, noch zu Meinungen, Kreativität oder einem Sozialverhalten. „Es ist daher logisch anzunehmen, dass auch Interaktionen zwischen Bots vorhersehbar und wenig ereignisreich ablaufen“, erklären Tsvetkova und ihre Kollegen. Aber stimmt das auch?
Was wirklich passiert, wenn Bots einander die Quere kommen, haben die Forscher am Beispiel von Wikipedia jetzt erstmals untersucht. Dafür werten sie aus, wo und wie oft Editier-Roboter in 13 Sprachversionen der Online-Enzyklopädie bestimmte Passagen in Einträgen rückgängig machten. Typischerweise zeigen gerade wiederholte Hin-und Her-Editierungen eines Eintrags einen Konflikt an, egal ob menschliche oder robotische Editoren involviert sind.
Erbitterte Editier-Duelle
Das überraschende Ergebnis: Bots sind auf Wikipedia nicht nur für einen großen Anteil der Rücknahmen verantwortlich, sie liefern sich dabei untereinander auch regelrechte Editier-Duelle: Über Jahre hinweg tilgen die Bots immer wieder die Aktionen des jeweils anderen. „Die Bots auf Wikipedia verhalten sich damit ähnlich unberechenbar und ineffizient wie die Menschen“, so die Forscher.
In der deutschen Wikipedia ist der Anteil solcher stillen Bot-Konflikte noch relativ niedrig: Im Durchschnitt 24 Mal heben Bots gegenseitige ihre Änderungen auf, wie die Forscher berichten. In anderen Sprachversionen aber toben hinter den Kulissen weitaus heftigere „Bot-Kämpfe“: In der englischen Wikipedia kam es im Mittel zu 105 Bot-Bot-Rücknahmen, in der portugiesischen kommt es sogar zu 185 gegenseitigen Aufhebungen.
„Soziologie der Bots“
„Der Fall von Wikipedia zeigt, dass selbst nützliche Bots, die eigentlich für die Kollaboration entworfen sind, in anhaltende Konflikte geraten können“, sagen die Forscher. „Das ist ineffizient, weil es Ressourcen verschwendet und immer wieder Pattsituationen erzeugt.“ Einen der Gründe für die Bot-Duelle sehen die Wissenschaftler im Bottom-Up-Design der Programme: Sie werden von einzelnen geschaffen, ohne dass es formale Absprachen für die spätere Koordination dieser Bots gibt.
„Wir neigen dazu zu vergessen, dass Koordination selbst unter kollaborativen Einzelnen meist nur durch übergeordnete Regeln erreicht werden kann“, erklärt Koautor Luciano Floridi vom Alan Turing Institute in London. Das gelte in gleichem Maße auch für Bots. Auch für sie sei es daher nötig, übergeordnete Regeln für ihre gegenseitigen Interaktionen zu entwickeln.
„In dem Maße, in dem Bots immer zahlreicher und ausgeklügelter werden, müssen wir auch mehr Aufmerksamkeit darauf richten, ihre Kultur und ihr soziales Leben zu verstehen“, konstatieren Tsvetkova und ihre Kollegen. „Das betrifft nicht nur die Frage, wie wir solche Programme entwerfen, sondern auch, wie wir ihr Verhalten überwachen. Wir benötigen mehr Forschung zu Soziologie der Bots.“ (PloS ONE, 2017; doi: 10.1371/journal.pone.0171774)
(University of Oxford, 28.02.2017 – NPO)