Vom Fluss zum transkontinentalen Strom: Forscher haben erstmals das Alter des Amazons genauer bestimmt. Demnach entstand der gewaltige Strom vor rund neun Millionen Jahren. Erst zu diesem Zeitpunkt verlagerten sich seine Quellen in die Andenregion und machten aus einem lokalen Gewässer einen quer durch Südamerika reichenden Flussgiganten. Die Belege dafür liefern Sedimentbohrkerne aus der Amazonasmündung.
Der Amazonas ist mit Abstand der wasserreichste Fluss der Erde – er liefert ein Fünftel des gesamten in die Ozeane strömenden Süßwassers. Mit der Entstehung dieses gewaltigen Stroms begann für Südamerikas Natur eine ganz neue Epoche. Denn seither bildet der Amazonas sowohl eine Verbindung als auch eine Barriere quer durch den Kontinent.
Doch wann das Amazonas-Flusssystem entstand, war bisher alles andere als klar. Der Grund dafür: Im Amazonasgebiet selbst ließen sich bisher kaum Spuren früherer Geschichte finden, der dichte Regenwald überdeckt dort alles. Die wichtigsten halbwegs zugänglichen Zeugnisse sind daher die rund zehn Kilometer dicken Sedimentablagerungen, die sich vor der Flussmündung gebildet haben.
Bohrung im Mündungs-Sediment
Erst Probebohrungen der brasilianischen Ölfirma Petrobas lieferten vor einigen Jahren Forschern die Chance, erstmals Gesteinsproben dieses Sediments aus bis zu 4,5 Kilometern Tiefe zu untersuchen. Damals kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass der Amazonas vor rund elf Millionen Jahren entstanden sein muss.
Inzwischen jedoch haben Carina Hoorn von der Universität Amsterdam und ihre Kollegen die Sedimentbohrkerne einer genaueren Analyse unterzogen. Dafür untersuchten sie unter anderem fossile Pollenkörner im Sediment und führten chemische Analysen durch. „Dadurch konnten wir den Zeitpunkt der Amazonas-Entstehung präzisieren“, erklärt Seniorautor Farid Chemale von der Universität Brasilia.
Plötzlicher Wandel vor neun Millionen Jahren
Das Ergebnis: Vor rund 9 bis 9,4 Millionen Jahren zeigt sich ein tiefgreifender Wandel in der Zusammensetzung der Sedimente, wie die Forscher entdeckten. Nachdem vorher vor allem Ablagerungen aus dem Tiefland in den Atlantik gespült wurden, tauchten dann erstmals auch Sediment aus der Andenregion in der Mündungsregion auf.
„Dieser Wechsel in der Geochemie des Sediments zeigt sich auch in den eingeschlossenen Pollen: Sie spiegeln einen Wandel von Pflanzen der Küste und des tropischen Tieflands hin zu einer Mischung aus Tiefland- und Gebirgsarten wider“, berichten Hoorn und ihre Kollegen. „Damit können wir die Entstehungsgeschichte des Flusses nun genau nachvollziehen.“
Mit den Anden verknüpft
Demnach verlagerten sich die Quellen des Amazonas vor gut neun Millionen Jahren weiter nach Westen – und machten aus den zuvor lokalen Flüssen erstmals einen transkontinentalen Strom. Der Amazonas reicht seither von den Anden im Westen Südamerikas bis zu seiner Mündung im Atlantik an der Ostküste des Kontinents.
„Unsere neuen Daten präzisieren damit das Alter des Amazonas und verlagern es gegenüber früheren Studien um ein bis eineinhalb Millionen Jahre nach hinten“, sagen die Forscher. „Unseren Schlussfolgerungen nach ist die Entstehung des Amazonas demnach eng mit der Tektonik der Anden verknüpft.“ Geologische Untersuchungen legen nahe, dass die zentralen Anden vor rund zehn bis sechs Millionen Jahren einen Wachstumsschub erlebten. Im Zuge dieser Veränderung könnte auch der Amazonas in seiner heutigen Form entstanden sein.
Gras statt Regenwald
Und noch etwas enthüllten die Sedimentbohrkerne: Das Amazonasgebiet war selbst nach der Bildung des Amazonas nicht immer von Regenwald bedeckt. Stattdessen breiteten sich an den Andenhängen und am Fuße des Gebirges vor rund zwei Millionen Jahren zunehmend weite Grasflächen aus. Davon zeugt die zunehmende Menge von Gräserpollen im Sediment, wie die Forscher berichten.
Noch bis vor rund 800.000 Jahren könnten demnach Teile des heutigen Regenwalds unbewaldet gewesen sein. „Unsere Daten enthüllen eine Ausbreitung des Graslands, die vorher nicht bekannt war“, berichtet Hoorn. Dieser Vegetationswandel sei höchstwahrscheinlich auf Klimaschwankungen vor allem während des Pleistozän zurückzuführen. (Global and Planetary Change, 2017; doi: 10.1016/j.gloplacha.2017.02.005)
(Universiteit van Amsterdam, 22.03.2017 – NPO)