Raben beherrschen eine weitere „typisch menschliche“ Fähigkeit: Sie können vorausplanen – und dies sogar in für sie ungewohnten Situationen. Im Experiment verschmähten sie ein Leckerli zugunsten eines Werkzeugs oder einer Wertmarke, obwohl diese erst mit Zeitverzögerung nützlich und futterbringend waren. Dieses vorausschauende Handeln hat man bisher nur bei Menschen und Menschenaffen beobachtet, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.
Lange Zeit glaubte man, dass nur der Mensch die Fähigkeit besitzt, für die Zukunft zu planen. Denn egal, ob wir überlegen, welche Dinge wir auf eine Reise mitnehmen oder beim Mittagessen weniger essen, damit wir uns später noch ein Eis gönnen können – all dies erfordert komplexe geistige Leistungen. Wir müssen uns in zukünftige Situationen versetzen und unmittelbare Bedürfnisse zugunsten des langfristigen Ziels zurückstellen können.
Inzwischen belegen Beobachtungen, dass zumindest Menschenaffen ebenfalls zu diesen Leistungen fähig sind: So sammeln Zooschimpansen Steine, um später Besucher damit bewerfen zu können und Orang-Utans teilen ihren Artgenossen schon am Vorabend mit, wohin es am nächsten Tag geht. Ob jedoch auch Tiere außer unseren nächsten Verwandten vorausplanen können, blieb unklar.
Raben im Planungstest
Jetzt belegen Can Kabadayi und Mathias Osvath von der Universität Lund, dass auch Raben in den illustren Club der begabten Vorausplaner gehören. Denn ihre Experimente demonstrierten: Die schlauen Krähenvögel haben selbst dann einen Sinn für die Zukunft, wenn es nicht um instinktgeleitete Verhaltensweisen wie das Verstecken von Futter geht.
In ihren Experimenten stellten die Forscher ihre fünf Raben absichtlich vor Aufgaben, die nicht zu ihrem normalen Verhaltensrepertoire gehören. In einem Test sollten sie eine Futterbox mit einem speziellen Werkzeug öffnen, in einem anderen eine Wertmarke nutzen, um sich damit vom Menschen Futter zu erkaufen. Beides fällt Kakadus und Krähen leicht, nicht jedoch den Raben.
Nutzen erst im Nachhinein
Der Clou dabei: Das Werkzeug und die Wertmarke bekamen die Raben nicht dann, wenn sie diese brauchten. Stattdessen erhielten sie diese Objekte 15 Minuten oder sogar mehrere Stunden vorher – und mussten sich dabei zwischen diesen nützlichen Utensilien und einem Leckerbissen entscheiden. Die Vögel würden sich daher nur dann für Werkzeug oder Wertmarke entscheiden, wenn ihnen bewusst war, dass sich dies später auszahlen würde.
Und tatsächlich: Die Raben verzichteten auf das sofortige Leckerli und entschieden sich für das erst in der Zukunft nützliche Utensil. In gut 88 Prozent der Fälle wählten sie das Werkzeug statt der Belohnung, für die Wertmarke entschieden sie sich sogar in 95 Prozent der Durchgänge, wie die Biologen berichten.
Besser als vierjährige Kinder
„Damit schneiden die Raben mindestens so gut ab wie Menschenaffen – und sogar besser als vierjährige Kinder“, sagen Kabadayi und Osvath. Ihrer Ansicht nach belegen diese Ergebnisse, dass Raben zu echtem Vorausplanen fähig sind. „Sie zeigen Selbstbeherrschung und wägen auch den zeitlichen Abstand zu künftigen Ereignissen ab“, so die Forscher. Zudem wenden die Vögel diese Fähigkeiten auch in Situationen an, die für sie keine Routine sind.
Die Raben gehören damit zum bisher kleinen Kreis der Tiere, die ebenso wie wir Menschen für ihre Zukunft planen können. Spannend ist dies vor allem deshalb, weil die Krähenvögel im Gegensatz zu den Menschenaffen nicht eng mit uns verwandt sind. Immerhin trennen Mensch und Vogel rund 320 Millionen Jahre der Evolution. (Science, 2017; doi: 10.1126/science.aam8138)
(Science/AAAS, 14.07.2017 – NPO)