Alarmierender Trend: Die Männer der westlichen Welt produzieren immer weniger Spermien. Seit 1973 ist ihre mittlere Spermienzahl um gut die Hälfte gesunken – Tendenz weiter fallend, wie eine Metastudie nun belegt. Im Extremfall bedeutet dies, dass immer mehr Männer in Nordamerika, Europa und Australien unfruchtbar werden könnten. Die Ursache für diese „Spermienkrise“ ist jedoch bisher unbekannt.
Spermien haben es nicht leicht: Als wäre der Weg zur Eizelle nicht schon beschwerlich genug, können den flinken Samenzellen auch noch vielerlei äußere Einflüsse schaden. Sind Männer erhöhter Belastung durch Pestizide, aber auch hormonähnlich wirkenden Chemikalien ausgesetzt, beeinträchtigt dies die Fitness ihrer Spermien. Zudem können Umweltgifte und Übergewicht auch die Zahl der Spermien verringern, wie Studien zeigen.
Spermienzahl halbiert
Wie es insgesamt um die Spermien der Männer aussieht, haben nun Hagai Levine von der Hebräischen Universität Jerusalem und seine Kollegen untersucht. Sie werteten dafür die Ergebnisse von 185 Studien aus der Zeit zwischen 1973 und 2011 aus. Die Teilnehmer stammten aus allen Regionen der Erde und hatten dort an allgemeinen Gesundheitsstudien teilgenommen. Dabei wurde auch ihre Spermienzahl erfasst.
Das Ergebnis: In den knapp 40 Jahren seit Beginn der Studien ist die Spermienmenge von Männern in der westlichen Welt drastisch gesunken. Die Forscher fanden eine Abnahme der Spermienzahl um 59,3 Prozent und eine Verringerung der Spermiendichte um 52,4 Prozent. Betroffen sind vor allem Männer in Nordamerika, Europa, Australien und Neuseeland.
Anhaltende „Spermienkrise“
Hinweise auf eine abnehmende Spermienzahl hat es in den letzten Jahren schon häufiger gegeben. Teilweise wurde sogar von einer „Spermienkrise“ gesprochen. Es blieb aber umstritten, wie verbreitet dieses Phänomen tatsächlich ist. „Diese Arbeit bestätigt nun eine negative Entwicklung, die sich seit Jahrzehnten abzeichnet und weitreichend ist“, kommentiert Artur Mayerhofer von der Universität München. „Dieser Trend ist bedenklich und sollte wahrgenommen werden.“
Ebenfalls besorgniserregend: Es gibt keine Anzeichen dafür, dass dieser Trend sich abschwächt oder umkehrt. Der Schwund der Spermienzahl ist seit Beginn der Studienzeit nahezu gleich hoch geblieben, wie die Forscher berichten. „Dies zeigt damit erstmals, dass diese Abnahme stark und anhaltend ist“, sagt Koautorin Shanna Swan vom Mount Sinai Medical Center in New York.
Werden die Männer unfruchtbar?
Was aber bedeutet dies? Nach Ansicht der Wissenschaftler ist ihr Ergebnis alarmierend: „Angesichts der Bedeutung der Spermienzahl für die männliche Fruchtbarkeit ist diese Studie ein dringender Weckruf“, konstatiert Levine. Denn die insgesamt sinkende Spermienzahl bedeute, dass immer mehr Männer unter die Schwelle rutschen, ab der sie zeugungsunfähig sind.
Etwas weniger dramatisch sieht es Stefan Schlatt von der Universität Münster. Er kommentiert: „Keine Panik! Der Mann stirbt nicht aus. Denn die Männer in den westlichen Industrienationen haben noch immer rund 47 Millionen Spermien pro Milliliter Ejakulat.“ Das liege deutlich über dem Wert von rund 15 Millionen Spemien, ab dem die WHO von Unfruchtbarkeit spreche.
Was ist die Ursache?
Allerdings: Noch ist kein Ende des Spermienschwunds in Sicht. Und auch die Ursachen sind unbekannt. „In den westlichen Industrienationen passiert irgendetwas, was dazu führt, dass dieses sensible Organ, die Hoden, schlechter Spermien produzieren lässt“, sagt Schlatt. Denn wie die Studie ergab, sind Männer in Asien, Afrika und Südamerika von diesem schleichenden Spermienverlust offenbar nicht betroffen – zumindest noch nicht.
Doch was könnte die Ursache sein? Die Wissenschaftler vermuten, dass bestimmte Umwelteinflüsse dahinter stecken. „Die Tatsache, dass die Spermienabnahme in den westlichen Ländern auftritt, spricht dafür, dass Chemikalien dafür eine Rolle spielen“, meint Swan. Aber auch andere Einflüsse der modernen Gesellschaft könnten Auslöser dafür sein.
„Das Handy in der Hosentasche, endokrine Disruptoren aus der Umwelt, die Acetylsalicylsäure im Schmerzmittel, ein anderer Hormon-Stoffwechsel wegen Übergewicht oder der Missbrauch von Hormonen für den Muskelaufbau: All das steht im Verdacht, Ursache für weniger Spermien zu sein“, erklärt auch Schlatt. „Aber letztlich ist es wohl nicht ein einzelner Faktor davon, sondern ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren.“
Levine und seine Kollegen appellieren an Gesundheitsbehörden und ihre Kollegen, sich auf die Suche nach den Ursachen dieser steilen Spermienabnahme zu machen. Denn nur dann könne man diesen Trend abbremsen und dem Spermienverlust vorbeugen. (Human Reproduction Update, 2017; doi: 10.1093/humupd/dmx022)
(The Hebrew University of Jerusalem / SMC, 26.07.2017 – NPO)