Solare Überraschung: Der Kern unserer Sonne rotiert fast viermal schneller als ihre Oberfläche – und damit deutlich schneller als bisher angenommen. Diesen überraschenden Einblick in das Innere unseres Sterns haben Astronomen anhand von subtilen Veränderungen der solaren Oszillation gewonnen. Nach 40 Jahren der Suche gelang es ihnen erstmals, darin die Signatur von Schwerewellen des Sonneninneren zu entdecken.
Die Sonne ist dynamischer und komplexer als sie auf den ersten Blick scheint. So ist ihr Inneres in verschiedene, sich gegenseitig beeinflussende Schichten gegliedert. Bekannt ist auch, dass die Sonnenmaterie je nach Breitengrad und Tiefe unterschiedlich schnell rotiert. Diese differenzielle Rotation führt unter anderem dazu, dass sich die Magnetfeldlinien miteinander verknäulen und sich im Laufe der Zeit eine Spannung aufbaut. Sie entlädt sich in den regelmäßigen Umpolungen des solaren Magnetfelds, aber auch in Sonneneruptionen.
Unbekannt aber war bisher, wie schnell der Kern der Sonne im Vergleich zu ihrer Oberfläche rotiert. Denn der direkte Blick ins Innere bleibt selbst Sonnenobservatorien verwehrt. Die einzige Auskunft darüber können langwellige Schwerewellen liefern, die das Sonneninnere durchziehen. Doch während die oberflächlichen Schwingungen der Sonne leicht zu messen sind, bleiben die Schwerewellen von außen verborgen.
40 Jahre der Suche
„Wir suchen seit mehr als 40 Jahren nach diesen verborgenen Schwerewellen unserer Sonne“, sagt Eric Fossat vom Observatorium der Côte d’Azur. „Aber erst jetzt haben wir herausgefunden, wie wir ihre Signatur aus den anderen Sonnenoszillationen extrahieren können.“ Wie er und seine Kollegen herausfanden, beeinflussen die Schwerewellen die Laufzeit der schnelleren Wellen durch das Sonneninnere.
Durch die Analyse von Messdaten des Sonnensatelliten SOHO aus 16 Jahren gelang es den Forschern, die subtilen Signaturen der solaren Schwerewellen, die sogenannten g-Modi, zu extrahieren. „Es ist wirklich wunderbar, auf diese Weise erstmals in den Kern unserer Sonne zu blicken und zum ersten Mal indirekt seine Rotationsgeschwindigkeit zu messen“, sagt Fossat.
Viermal schneller als die Oberfläche
Das überraschende Ergebnis: Der Kern der Sonne dreht sich schneller als gedacht – und deutlich schneller als ihre oberen Schichten. Wie die Forscher berichten, rotiert der Sonnenkern fast viermal schneller als die Sonnenoberfläche. Während sie zwischen 25 und 35 Tage für eine Drehung benötigt, dreht sich der Sonnenkern einmal pro Woche um sich selbst.
„Das ist eine Überraschung“, sagt Koautor Roger Ulrich von der University of California in Los Angeles. Zwar vermuten Astronomen schon seit längerem, dass sich das Sonneninnere schneller dreht als ihre Oberfläche. Aber wie schnell diese Rotation tatsächlich ist, blieb mangels Messdaten unklar. „Unsere Ergebnisse eröffnen ein ganz neues Fenster zur solaren Physik“, kommentiert Fossat.
Relikt aus der Frühzeit der Sonne?
Warum aber rotiert der Sonnenkern so schnell? Die Astronomen vermuten, dass dies auf die Frühzeit unseres Sonnensystems zurückgehen könnte. Während sich die Sonne im Zentrum der Urwolke bildete, drehte sie sich zunächst genauso schnell wie der Rest der Wolke. Doch nach Zündung der Kernfusion bremste der starke Sonnenwind die äußeren Sonnenschichten allmählich ab.
Dadurch behielt zwar der Kern seine schnelle Rotation bei, der Rest der Sonne aber verlangsamte sein Tempo. „Die Kernrotation ist damit ein Relikt aus der Zeit, als sich die Sonne vor rund 4,6 Milliarden Jahren bildete“, erklärt Ulrich.
Viele neue Fragen
Die neuen Ergebnisse werden aber auch neue Fragen zur Evolution unseres Sterns und zu den Prozessen in seinem Kern auf. So ist noch unklar, ob die Schwerewellen Rückschlüsse auf die chemische Zusammensetzung des Sonnenkerns erlauben und welche. Auch ob es explizite Scherzonen zwischen den verschieden schnell rotierenden Sonnenschichten gibt, muss nun noch geklärt werden.
„Obwohl unsere Ergebnisse viele neue Fragen aufwerfen, sind sie das wichtigste Ergebnis von SOHO der gesamten letzten Dekade und einer seiner größten Entdeckungen“, betont Bernhard Fleck, SOHO-Projektwissenschaftler bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. (Astronomy & Astrophysics, 2017; doi: 10.1051/0004-6361/201730460)
(ESA, University of California Los Angeles, 02.08.2017 – NPO)