Drastischer Schwund: Britische Seekarten aus dem 18. Jahrhundert enthüllen das wahre Ausmaß des Korallensterbens. Denn sie zeigen viele Riffe, die in den letzten 240 Jahren verschwunden sind. So gab es allein vor der Südküste Floridas damals noch gut doppelt so viele Riffe wie heute. In Küstennähe sind sogar bis zu 90 Prozent der einstigen Riffe verschwunden, wie Forscher im Fachmagazin „Science Advances“ berichten. Selbst sie waren über das Ausmaß dieses Korallenverlusts überrascht.
Die tropischen Korallenriffe haben es schwer: Die Erwärmung und Versauerung der Meere, verschmutztes Wasser und die Zerstörung durch Bagger oder Schleppnetze führen zum Niedergang dieses wertvollen Lebensraums. Selbst das größte Riff der Erde, das Great Barrier Reef, könnte bereits irreversibel geschädigt sein. All diese Veränderungen werden jedoch erst seit wenigen Jahrzehnten kartiert und erforscht. Wie viele Korallenriffe schon vor Beginn dieser Zeit verschwunden sind, ist daher weitgehend unbekannt.
Nautische Karten als Referenz
Doch es gibt eine Chance, solche „Geisterriffe“ aufzuspüren, wie Loren McClenachan vom Colby College in Maine und ihre Kollegen herausgefunden haben: in historischen Seekarten. Denn vor allem in den 1770er Jahren unternahm die britische Marine große Anstrengungen, die Seegebiete ihrer Kolonien detailliert zu kartieren. Dabei wurden auch Riffe in diesen nautischen Karten verzeichnet, weil ihre Untiefen für die Schiffe eine tödliche Gefahr darstellten.
„Die besten dieser britischen Seekarten beschreiben die Tiefe, Form und Farbe der Unterwasserkorallen und unterscheiden sie klar von anderen harten Hindernissen wie bloßen Felsen“, berichten die Forscher. Sie haben dies nun genutzt, um nachvollziehen, wo in der Meeresregion vor Florida einst Riffe lagen und wie sich der Korallenbestand dort verändert hat. Dafür verglichen sie Ausdehnung und Position von 143 in den historischen Seekarten eingezeichneten Korallenriffen mit drei aktuellen biologischen Kartierungen des gleichen Gebiets.
Drastischer Schwund
Das Ergebnis: Im Laufe der letzten 240 Jahre ist die Zahl und Größe der Korallenriffe vor Florida auf nur noch die Hälfte geschrumpft. „Mehr als die Hälfte der historischen Korallenbeobachtungen fanden an Stellen statt, wo es heute keine Korallen mehr gibt“, berichten die Forscher. „Stattdessen wächst dort heute meist Seegras oder es gibt nur kahlen Meeresgrund.“ In heutigen Erhebungen sind diese Gebiete nicht einmal mehr als Korallenhabitat gekennzeichnet, so spurlos sind die Riffe dort teilweise verschwunden.
Besonders drastisch ist der Korallenverlust dabei in unmittelbarer Küstennähe, wie die Wissenschaftler berichten. In der Florida Bay, dem Meeresgebiet zwischen der Südspitze von Florida und den vorgelagerten Inseln, sind mehr als 87 Prozent der einstigen Riffe verschwunden. „Das Ausmaß der Veränderungen ist weit größer als irgendjemand vermutet hätte“, betont Koautor John Pandolfi von der University of Queensland in Brisbane.
Schlammschwemme und Bagger
Was aber ist schuld an diesem Schwund? Darüber können die Forscher bisher nur spekulieren. Sie vermuten, dass die Zerstörung von Mangroven entlang der Küste und die Degradierung der Feuchtgebiete im Süden Floridas einer der Gründe sein könnte. Vor allem in den 1930er bis 1950er Jahren führte dies dazu, dass große Mengen an nährstoffreichem Schlamm ins Meer gespült wurde. Diese Schwemme an organischem Material könnte die Korallenriffe förmlich erstickt haben, so ihre Hypothese.
Aber auch die Ausbaggerung von Fahrrinnen für den Schiffsverkehr könnte viele Riffe zerstört haben. Für die Meeresökologie hatte dies schwerwiegende Folgen: „Der Verlust der küstennahen Riffe spricht dafür, dass sich die Meeresökosysteme in den Florida Keys in großem Maßstab verändert haben“, sagen McClenachan und ihre Kollegen. „Mit den Riffen verschwand der Lebensraum vieler Organismen, darunter der vielen Fische, die die Korallenriffe als Kinderstube nutzen.“ (Science Advances, 2017; doi: 10.1126/sciadv.1603155)
(University of Queensland, 07.09.2017 – NPO)