Ökologie

Bioinvasion nach Japan-Tsunami

Trümmerteile vom März 2011 transportieren hunderte Arten nach Amerika

Seit der Tsunami-Katastrophe haben rund 300 marine Arten auf Trümmerteilen den Pazifik überquert. © Carla Schaffer/ AAAS

Überraschende Nebenwirkung: Der Japan-Tsunami von 2011 hat offenbar den Startschuss für eine beispiellose Masseninvasion gegeben. Denn durch die Naturkatastrophe gelangten unzählige Trümmerteile ins Meer, die sich als nützliche Transportmittel für marines Getier erwiesen. Auf den menschengemachten Flößen sind in den vergangenen fünf Jahren rund 300 ursprünglich in Japan heimische Arten nach Nordamerika gekommen. Vor allem robuste Plastikteile ermöglichten ihnen diese weite Reise, wie eine Studie zeigt.

Das Tohoku-Erdbeben vom 11. März 2011 vor Japan und der dadurch ausgelöste Tsunami gehören bis heute zu den schlimmsten Katastrophen, die Japan jemals getroffen haben. Das dramatische Naturereignis kostete tausende Menschen das Leben und machte hunderttausende obdachlos. Außerdem sorgte es für eine Atomkatastrophe im Kraftwerk Fukushima Daiichi und setzte durch die Zerstörung von Gebäuden große Mengen ozonzerstörender und klimaschädlicher Halogenverbindungen frei.

Doch Erdbeben und Tsunami hatten noch eine weitere, bisher unbekannte Folge: Sie spülten Unmengen von Trümmerteilen in den Pazifischen Ozean – und verhalfen damit zahlreichen Bioinvasoren zu einer bequemen Reise an die 7.000 Kilometer entfernte Westküste der USA. Diese erstaunliche Entdeckung haben Wissenschaftler um James Carlton vom Williams College in Williamstown gemacht.

Angeheftet an eine Boje hat es die in Japan beheimatete Pazifische Auster über den Ozean geschafft. © James T. Carlton

Über 300 fremde Arten

Seit 2012 beobachten die Forscher, dass an den Küsten der US-Bundesstaaten Washington, Oregon, Kalifornien, Alaska und Hawaii immer wieder Bojen, Kisten, Schiffsteile und andere Gegenstände auftauchen – Objekte, die dem Tsunami-Ereignis in Japan zugeordnet werden können und mit blinden Passagieren beladen sind. Unter den weitgereisten Meerestieren sind zum Beispiel Seepocken, Muscheln, Napfschnecken, Krebstiere und sogar Fische.

Der Einfall ursprünglich in Japan heimischer Arten reißt seit dieser Zeit nicht ab. Noch im Frühjahr dieses Jahres landeten neue Tsunami-Trümmer mit exotischem Getier in Nordamerika und Hawaii, wie Carlton und seine Kollegen berichten. Um das Phänomen genauer unter die Lupe zu nehmen, bargen sie zwischen 2012 und 2017 insgesamt 634 dieser Teile und untersuchten sie genauer. Dabei identifizierten sie rund 300 unterschiedliche invasive Spezies – eine enorme Zahl.

Diese Nordpazifischen Seesterne wurden 2012 in der Nähe von Newport in Oregon angespült. © John W. Chapman

Plastik als verlässliches Floß

Wie aber kann es sein, dass die Tiere auch Jahre nach der Katastrophe noch in den USA ankommen? Eine entscheidende Rolle dafür scheinen Teile aus Plastik zu spielen, glauben die Wissenschaftler. Das nur schwer abbaubare Material hält sich auf offener See problemlos und zerfällt nicht. Tiere können deshalb lange Zeit darauf überleben und weite Strecken zurücklegen.

Die Tatsache, dass nach den ersten zwei Jahren kaum noch Holzteile ankamen, die Menge der Plastikobjekte aber nicht abnahm, scheint diese These zu bestätigen. So ließe sich auch erklären, warum die ähnlich starken Tsunamis von 1896 und 1933 in der Tohoku-Region nicht zu vergleichbaren Ereignissen geführt haben: Es gab damals schlicht noch nicht so viel Kunststoff.

„Beispiellose Migration“

Für die betroffenen Ökosysteme könnten die japanischen Neuankömmlinge zu einer echten Gefahr werden. Denn unter ihnen waren auch einige, die trotz der langen Reise voll fortpflanzungsfähig waren. Das heißt: Theoretisch könnten sie sich in Amerika ausbreiten und dort auf lange Sicht heimisch werden. Dass Tiere zum Beispiel über den Schiffsweg an weit entfernte Orte gelangen und dort mitunter ursprünglich heimische Arten verdrängen, ist zwar nichts Neues.

„Das Ausmaß dieser durch den Tsunami von 2011 begünstigten Migration ist aber beispiellos“, kommentiert der nicht an der Studie beteiligte Biologe Steven Chown von der Monash University in Melbourne. „Selbst wenn sich nur ein kleiner Teil der transportierten Arten in der neuen Heimat etabliert, haben wir es mit einem sehr großen Kolonisationsereignis zu tun.“

Zunehmendes Problem?

Welche Bedeutung die ins tausende Kilometer entfernte Amerika gereisten Arten in Zukunft wirklich für die dortigen Ökosysteme haben werden, muss sich erst noch zeigen. Schon jetzt offenbart die Artenschwemme aus Japan aber die Rolle von Plastikmüll und Naturkatastrophen für das Problem der Bioinvasion – ein Problem, welches nach Meinung der Forscher künftig zunehmen könnte.

Denn: Die Menschheit produziert nicht nur immer mehr Plastikmüll, der tonnenweise in die Meere gelangt. Durch den Klimawandel werden wahrscheinlich auch Naturereignisse wie Hurrikans zunehmen und dadurch ebenfalls für mehr Trümmerteile im Ozean sorgen. „Angesichts der ökonomischen und ökologischen Folgen, die oftmals mit der Ausbreitung invasiver mariner Arten verbunden sind, geben diese neuen Transportmittel zunehmend Anlass zur Sorge“, schließt Carlton. (Science, 2017; doi: 10.1126/science.aao1498)

(Oregan State University/ Science, 29.09.2017 – DAL)

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