Verblüffend vertraut: Zurzeit rast ein unbekanntes interstellares Objekt durch unser Sonnensystem. Jetzt haben Astronomen die ersten Erkenntnisse über diesen fremden „Besucher“ gewonnen. Beobachtungen mit Teleskopen enthüllten, dass das Objekt unseren heimischen Asteroiden erstaunlich ähnlich ist. Möglicherweise gehörte dieser Brocken einst zu einem fremden Planetensystem und wurde aus ihm herausgeschleudert.
Typischerweise stammen nahezu alle bekannten Objekte in unserer nahen kosmischen Umgebung aus unserem eigenen Sonnensystem. Doch am 19. Oktober 2017 entdeckte das Pan-STARRS-Teleskop auf Hawaii einen Brocken, für den dies nicht galt: Die Flugbahn und das hohe Tempo des A/2017 U1 getauften Objekts sprachen dafür, dass dieser Brocken aus dem interstellaren Raum stammte.
Erstaunlich normal
Jetzt haben Astronomen erste Daten zu diesem interstellaren Besucher veröffentlicht. Sie hatten A/2017 U1 über fünf Nächte hinweg mit dem WIYN Teleskop des Kitt Peak National Observatory in Arizona und des Nordic Optical Telescope auf den Kanaren beobachtet. Dadurch gelang es ihnen, mehr über Größe, Form und Verhalten des Objekts zu erfahren.
Das überraschende Ergebnis: Trotz seiner fremden Herkunft erscheint U1 erstaunlich „normal“: „Abgesehen von seiner länglichen Form ist das Bemerkenswerte an U1, wie vertraut und physikalisch gewöhnlich er ist“, berichtet Jayadev Rajagopal vom National Optical Astronomy Observatory. Der interstellare Brocken ist länglich geformt und rund 30 mal 30 Meter breit und 180 Meter lang. Update: Zusätzliche Beobachtungen mit dem Very Large Telescope der ESO sprechen für ein deutlich größeres Objekt von mindetsens 400 Metern Länge.
Wahrscheinlich keine Eisoberfläche
Die Beobachtungen zeigen zudem, dass der kosmische Brocken im Gegensatz zu unseren Kometen keinen Schweif und keine Koma besitzt. „Wenn er flüchtige Substanzen enthält, müssen diese von einer festen Oberflächenschicht von mindestens 50 Zentimetern Dicke bedeckt sein“, berichten die Forscher. Die Oberfläche von U1 scheint demnach nicht aus Wassereis oder anderen leicht ausgasenden Stoffen zu bestehen.
Dies könnte dafür sprechen, dass der interstellare Brocken eher unseren Asteroiden ähnelt als einem Kometen. Die Astronomen vermuten, dass das ‚Oumuamua getaufte Objekt eher aus Gestein mt einem möglicherweise hohen Anteil an Metall besteht.
Die spektrometrische Analyse ergab zudem, dass der interstellare Brocken ein leicht rötliches Licht ins All zurückwirft. Darin ähnelt er eher einigen Asteroiden des inneren Sonnensystems als der Materie im äußeren Sonnensystem. „Es ist jedoch allein anhand unserer bisherigen Daten noch nicht möglich zu sagen, ob U1 ein Asteroid oder Komet ist“, betonen die Astronomen. Hier seien weitere Beobachtungen nötig.
Bei der Planetenbildung herausgeschleudert?
Unabhängig davon halten die Astronomen den Brocken für ein Objekt, das einst aus einem fremden Planetensystem herausgeschleudert wurde. „U1 könnte uns den ersten direkten Beweis dafür liefern, dass auch Planetensysteme um andere Sterne während ihrer Entstehung Objekte ausschleudern“, erklärt Rajagopal.
Auch in unserem Sonnensystem kam es während der Planetenbildung immer wieder zu Kollisionen und Bahnstörungen, durch die viele Planetenbausteine weit ins All hinausgeschleudert wurden. Einige davon gelangten dadurch wahrscheinlich sogar bis in den interstellaren Raum. U1 könnte nach Ansicht der Forscher durch einen ähnlichen Prozess aus seinem Heimatsystem „verstoßen“ worden sein.
Zehntausend interstellare „Besucher“?
Zwar ist U1 das bisher erste interstellare Objekt, das die Astronomen entdeckt haben. Doch sie sind sich sicher, dass noch sehr viel mehr solcher fremden „Besucher“ unser Sonnensystem passieren. Den Berechnungen der Forscher nach könnten zu jedem Zeitpunkt sogar rund zehntausend solcher Objekte unerkannt innerhalb der Neptunbahn durch unser System rasen.
„Jeder von ihnen benötigt rund zehn Jahre, um das Sonnensystem zu durchqueren“, erklärt David Jewitt von der University of California in Los Angeles. „Alle zehn Jahre oder so haben wir daher wahrscheinlich einen ganz neuen Schwung solcher Objekte, von denen wir dann hoffentlich in Zukunft einige weitere entdecken werden.“ (Astrophysical Journal Letters, in press; arXiv:1711.05687)
(National Optical Astronomy Observatory, 20.11.2017 – NPO)