Astronomie

Neutronenstern-Kollision verblüfft Astronomen

Diskrepanzen im Nachglühen der Kollision widersprechen gängigen Szenarien

Ein Trümmerkokon könnte erklären, warum das Nachglühen der Neutronenstern-Kollision so seltsam verlief. © NRAO/AUI/NSF, D. Berry

Widerspruch zur Theorie: Die Neutronenstern-Kollision vom Sommer 2017 sorgt noch im Nachhinein für Überraschungen. Denn eigentlich hätte die Strahlung ihres Nachglühens allmählich abnehmen müssen. Stattdessen haben Forscher sogar eine Zunahme der Radio- und Röntgenstrahlung detektiert. Das aber bedeutet: Die Kollision verlief offenbar anders als in gängigen Szenarien vorhergesagt. Was stattdessen passierte und wie das seltsame Strahlenmuster zu erklären ist, berichten nun Astronomen im Fachmagazin „Nature“.

Am 17. August 2017 gelang den Astronomen eine Sensation: Zum ersten Mal wiesen sie die Kollision zweier Neutronensterne nach – eine kosmische Katastrophe, bei der zwei dieser extrem dichten Sternenrelikte verschmelzen. Die gewaltige Explosion in 130 Millionen Lichtjahren Entfernung produzierte nicht nur gewaltige Mengen schwerer Elemente und brachte die Raumzeit zum Beben, es wurden auch enorme Mengen Energie in Form von Strahlung frei.

Doch genau diese Strahlung sorgt nun für Rätselraten. Seit dem Ereignis im August haben Teleskope in der ganzen Welt die strahlenden Nachwehen der kosmischen Kollision verfolgt. Der Theorie nach erzeugt eine Kollision von Neutronensternen zwei gebündelte Jets von extrem beschleunigten Teilchen und Strahlung, die weit ins All hinaus reichen. Seltsam nur: Die zeitliche Abfolge der registrierten Strahlung passte nicht zu diesem Szenario.

Ein Jet mit schräger Achse?

„Wenn einer dieser Jets direkt auf die Erde gezeigt hätte, dann hätten wir einen typischen kurzen Gammastrahlen-Ausbruch sehen müssen“, erklären Kunal Mooley vom California Institute of Technology (Caltech) und seine Kollegen. „Das aber war eindeutig nicht der Fall.“ Stattdessen trafen die Röntgen- und Radiostrahlung der Kollision erst mit deutlicher Verspätung bei uns ein.

Beim Off-Axis-Szenario zeigt der gebündelte Strahlenjet nicht direkt auf die Erde. © NRAO/AUI/NSF, D. Berry

Aber warum? Die Astronomen nahmen zunächst an, dass es sich um ein sogenanntes Off-Axis-Nachglühen handelte – eine Strahlung, die von einem nicht direkt auf uns gerichteten Strahlenjet ausgeht. Um das zu überprüfen, haben Mooley und seine Kollegen das Nachglühen mithilfe mehrerer Radioteleskope über Monate hinweg weiter beobachtet. Optische Teleskope waren in dieser Zeit vorübergehend durch die Sonne behindert und mussten daher bis Anfang Dezember ihre Beobachtungen unterbrechen.

Radiosignal nimmt zu statt ab

Dabei stellten die Astronomen Überraschendes fest: Die Radiostrahlung vom Ort der Kollision nahm entgegen den Erwartungen im Laufe der Zeit langsam zu. Käme die Strahlung jedoch von einem Off-Axis-Nachglühen, dann müsste die Radio-und Röntgenstrahlung allmählich immer schwächer werden. Das aber war nicht der Fall.

„Die allmähliche Verstärkung des Radiosignals deutet darauf hin, dass wir hier einen weitgestreuten, sich mit annähernd Lichtgeschwindigkeit ausbreitenden Ausstrom von Material aus der Neutronenstern-Kollision sehen“, erklärt Mooley. Und dieser Ausstrom bewege sich direkt in unsere Richtung – On-Axis statt Off-Axis. Seltsam ist allerdings, dass diese Strahlung trotzdem mit Verspätung bei uns ankam.

Trümmer-Kokon als Strahlenbremse?

Eine mögliche Erklärung liefert ein astrophysikalisches Modell. Nach diesem könnten die ausgeschleuderten Kollisionstrümmer den Jet aufgehalten haben. Trifft der Strahlenjet auf diese Wolke aus Staub und Gasen, reißt er die Materie mit, verliert dabei aber einen Teil seiner Energie. Dadurch bricht die Strahlung erst verzögert und stark gestreut aus diesem Kokon heraus, wie die Forscher erklären.

Simulation des vom Trümmerkokon der Neutronenstern-Kollision gebremsten Strahlenjets© Caltech

„Dieses Szenario könnte viele der rätselhaften Merkmale von GW170ß817 erklären“, sagen Mooley und seine Kollegen. Darunter auch die späte und allmählich stärker werdende Radiostrahlung. „Sollte unser Radiosignal tatsächlich aus einem sich ausdehnenden Trümmerkokon stammen, dann müssten sich auch die Röntgenstrahlen im Laufe der Zeit verstärkt haben“, so die Forscher.

Und tatsächlich: Das Chandra-Röntgenteleskop der NASA hat Anfang Dezember die Röntgen-Emission vom Ort der Neutronenstern-Kollision erneut gemessen – und eine Zunahme der Strahlung registriert. „Die Röntgenstrahlung verstärkte sich genau so wie wir es vorhergesagt haben“, sagt Mooleys Kollege Gregg Hallinan.

Gute Aussichten für künftige Nachweise

Die neuen Daten bestätigen damit nicht nur das Kokon-Szenario, sie sind auch eine gute Nachricht für künftige Ereignisse dieser Art, wie die Astronomen erklären. Denn während unbehinderte Jets nur schmale Strahlenkegel produzieren, die nur mit viel Glück aufzuspüren sind, erzeugt ein Trümmerkokon eine breitgestreute Strahlung, die in vielen Richtungen sichtbar ist.

„Das bedeutet, dass wir künftig noch viele weitere dieser Kollisionen anhand ihrer elektromagnetischen Strahlung aufspüren können – und nicht nur durch ihre Gravitationswellen“, sagt Hallinan. (Nature, 2017; doi: 10.1038/nature25452)

(Nature, National Radio Astronomy Observatory, 21.12.2017 – NPO)

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