Astronomie

Kosmische Expansion bleibt rätselhaft

Steckt exotische Physik hinter den Diskrepanzen bei der Hubble-Konstante?

Wie schnell sich das Universum ausdehnt, ist noch immer strittig. Eine neue Messung bestätigt die Diskrepanzen für die Hubble-Konstante. Sie wurde an Cepheiden durchgeführt - veränderlichen Sternen, wie sie hier gelb eingekreist in einer fernen Galaxie zu sehen sind. © NASA/ ESA, A. Riess (STScI/JHU)

Das Rätsel vertieft sich: Astronomen haben die bisher genaueste Messung der kosmischen Expansion durchgeführt – und erneut Diskrepanzen gefunden. Die neuen Werte bestätigen, dass sich das Universum schneller ausdehnt als aus der kosmischen Hintergrundstrahlung ermittelt. Das könnte darauf hindeuten, dass es im Kosmos bisher noch unbekannte Teilchen oder physikalische Prozesse gibt, die die heutige Expansion vorantreiben, so die Forscher im Fachmagazin „Astrophysical Journal“.

Unser Universum dehnt sich aus und diese Expansion hat sich in den letzten Milliarden Jahren noch beschleunigt – wahrscheinlich durch den Einfluss der Dunklen Energie. Doch das genaue Tempo der kosmischen Ausdehnung – und damit der Wert der Hubble-Konstante – gibt Astronomen seit Jahren Rätsel auf.

Rätselhafte Diskrepanzen

Das Problem: Auf Basis der kosmischen Hintergrundstrahlung kommen Astronomen auf einen Wert für die Hubble-Konstante von rund 67 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec. Doch Messungen anhand von Supernovae, Gravitationslinsen und veränderlichen Sternen, den sogenannte Cepheiden, ergaben Hubble-Werte von 72 bis 74 – und damit eine deutlich schnellere Expansion.

„Die Astronomie-Gemeinde hat wirklich Probleme damit, diese Unterschiede zu verstehen und zu erklären“, sagt Studienleiter Adam Riess vom Space Telescope Science Institute in Baltimore. Die große Frage ist: Handelt es sich nur um Messungenauigkeiten, die mit zunehmend besseren Messungen von selbst verschwinden? Oder ist die Diskrepanz real? Das würde bedeuten, dass früher Kräfte in Universum wirken, die es heute so nicht mehr gibt – oder umgekehrt.

Messung durch Cepheiden-Parallaxen

Jetzt haben Riess und seine Kollegen mithilfe des Hubble-Weltraumteleskops die bisher genaueste Messung der aktuellen kosmischen Expansion durchgeführt. Dafür beobachteten sie die Position mehrerer Cepheiden in 6.000 bis 12.000 Lichtjahren Entfernung. Das Teleskop maß vier Jahre lang alle sechs Monate die Position dieser Sterne – und das tausendmal in der Minute. Das erlaubt eine besonders präzise Bestimmung.

So haben die Astronomen die Expansionsrate gemessen © NASA/ESA, A. Feild (STScI) und A. Riess (STScI/JHU)

Das Entscheidende dabei: Die Forscher berechneten die Entfernung der Cepheiden nicht nur wie üblich über deren Flackerrate, sondern bestimmten zusätzlich die Parallaxenverschiebung dieser Sterne – ein scheinbares Hin- und Herwandern der Cepheiden vor dem Sternenhintergrund. Diese Verschiebung entsteht, weil die Erde auf ihrem Weg um die Sonne ihre Position verändert und damit auch die Perspektive, aus der Teleskope auf der Erde oder im Erdorbit Sterne sehen.

Unterschied bestätigt

Das Ergebnis ist die bisher präziseste Messung der komischen Expansion – und eine Bestätigung der Diskrepanzen. Die Astronomen kamen für die Hubble-Konstante auf einen Wert von 73,45 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec. Auch ihre Messung bestätigt damit, dass sich das Universum aktuell schneller ausdehnt als es nach den Werten der Hintergrundstrahlung dürfte. Wie die Forscher berichten, liegen rund neun Prozent Differenz zwischen beiden Werten.

„Damit wird es immer wahrscheinlicher, dass dies kein Fehler ist, sondern ein echtes Merkmal des Universums“, konstatiert Riess. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Diskrepanzen nur Zufall sind, habe sich durch die neuen Messungen auf 1 zu 5.000 reduziert. „Beide Werte sind zudem mehrfach überprüft worden, was einen grundsätzlichen Fehler der Methodik oder Messungen unwahrscheinlicher macht“, so der Forscher.

Suche nach einer Erklärung

Was aber bedeutet dies für unser Bild des Kosmos? Noch wissen auch die Astronomen nicht, warum sich das Universum heute schneller ausdehnt als es dürfte. Eine mögliche Erklärung wäre, dass die physikalischen Rahmenbedingungen im Kosmos weniger konstant sind als bisher angenommen. SO könnte es beispielsweise sein, dass sich die Wirkung der Dunklen Energie seit der Frühzeit des Kosmos verändert hat.

Möglich wäre auch, dass bisher noch unbekannte Teilchen die Ausdehnung des Universums beeinflussen. Das könnten die schon seit langem gesuchten Teilchen der Dunklen Materie sein, aber auch bisher rein hypothetische Partikel wie die sterilen Neutrinos. Einige Astronomen spekulieren auch darüber, ob die Dunkle Materie vielleicht stärker mit normaler Materie oder Strahlung wechselwirkt als bisher angenommen.

Noch gibt es hier mehr Fragen als Antworten. Astronomen können bisher nur raten, was hinter diesen seltsamen Diskrepanzen bei der kosmischen Expansion steckt – konkrete Hinweise gibt es nicht. Sie hoffen nun, dass zukünftige, noch genauere Messungen vielleicht mehr Klarheit bringen werden. „Diese Präzision könnte helfen, die Ursache dieser Diskrepanz zu finden“, sagt Riess‘ Kollege Stefano Casertano. (The Astrophysical Journal, in press)

(NASA/ Goddard Space Flight Center, 23.02.2018 – NPO)

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