Überraschende Theorie: Ein winziger Anteil der Dunklen Materie könnte aus Teilchen mit einer schwachen elektrischen Ladung bestehen – vermuten jedenfalls US-Forscher. Das widerspricht zwar gängigen Vorstellungen zur Dunklen Materie, wäre aber theoretisch möglich, wie sie vorrechnen. Würde sich dies bestätigen, könnte dies erklären, warum primordiale Gaswolken im Kosmos viel kälter waren, als sie eigentlich sein dürften.
Im Universum gibt es fünfmal mehr Dunkle Materie als normale, für uns sichtbare Materie. Ihr Schwerkrafteinfluss prägt die Struktur des Kosmos. Doch woraus die Dunkle Materie besteht und welche Eigenschaften ihre Teilchen haben, ist rätselhaft. Als mögliche Kandidaten gelten unter anderem WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles), SIMPs (Strongly Interacting Massive Particles) oder leichte Axionen. Sie alle aber sind rein hypothetisch – Nachweise gibt es nicht.
Viel zu kalt
Jetzt könnten Julian Munoz und Abraham Loeb von der Harvard University eine überraschende neue Eigenschaft der Dunklen Materie aufgedeckt haben. Anstoß dafür gaben jüngste Ergebnisse des EDGES-Teleskops in Australien. Mit dieser Antenne hatten Forscher Signale primordialer Wasserstoffwolken eingefangen – angeregter Gasmoleküle aus der Zeit nur 180 Millionen Jahre nach dem Urknall.
Das Seltsame jedoch: Diese frühen Gaswolken waren viel kälter als sie sein dürften. Ihre Temperatur lag bei nur rund drei Kelvin – doppelt so niedrig wie erwartet. „Diese Beobachtung ist schwer mit dem kosmologischen Standardmodell zu vereinbaren“, so Munoz und Loeb. Denn das kosmische Gas lässt sich zwar leicht aufheizen, aber nur sehr schwer weiter herunterkühlen. „Dafür müssen die Baryonen dieses Gases mit etwas noch Kälterem interagiert haben“, mutmaßte schon im März Rennan Barkana von der Universität Tel Aviv.
Kühlung durch Dunkle Materie?
Doch das einzige, was im frühen Universum noch kälter war als die primordialen Gaswolken, war die Dunkle Materie. Theoretisch käme daher nur sie als Kühlmittel für die primordialen Gaswolken in Frage, wie auch Munoz und Loeb betonen. Das Problem: Nach gängiger Theorie interagiert Dunkle Materie nur über die Schwerkraft mit dem Rest des Universums. Eine Übertragung von Wärme oder Kälte ist jedoch dadurch nicht möglich.
Es gäbe aber einen anderen Weg, wie die Astronomen ermittelt haben: Ein kleiner Teil der Dunklen Materie könnte damals, kurz nach dem Urknall, eine schwache elektrische Ladung besessen haben. Das hätte es den Teilchen dieser exotischen Materieform ermöglicht, mit dem primordialen Gas zu interagieren und dieses zu kühlen. „Wenn nur ein kleiner Teil – weniger als ein Prozent – der Dunklen Materie eine winzige Ladung eine Million Mal schwächer als das Elektron besessen hätte, dann könnte dies die Daten des EDGES-Experiment erklären“, konstatieren Munoz und Loeb.
Kein Widerspruch zu gängigen Beobachtungen
Auf den ersten Blick scheint dies extrem unwahrscheinlich. Denn alle bisherigen Messungen und Beobachtungen deuten darauf hin, dass die Dunkle Materie ungeladen ist und keinerlei elektromagnetische Aktivität entfaltet. Doch wie die Forscher betonen, wäre der Anteil der geladenen Partikel ohnehin extrem gering und ihre Ladung so schwach, dass dies mit heutiger Technik nicht nachweisbar wäre. „Solche winzigen Ladungen sind selbst mit den größten Teilchenbeschleunigern nicht beobachtbar“, sagt Loeb.
Hinzu kommt, dass dieser geringe Ladungsanteil möglicherweise nur in der Frühzeit des Universums existierte. Die Forscher sehen darin eine Analogie zur Entwicklung der normalen Materie: Der größte Teil der nach dem Urknall frei umherfliegenden Protonen und Elektronen verband sich damals zu neutralen Atomen. Doch einige wenige dieser geladenen Elementarteilchen blieben zunächst frei. Ähnliches könnte auch bei der Dunklen Materie abgelaufen sein, so Munoz und Loeb.
Signale könnten nachweisbar sein
Das ist zwar bisher reine Theorie, doch Munoz und Loeb glauben, dass die frühe Kühlwirkung der Dunklen Materie in Zukunft durchaus nachweisbar sein könnte. Demnach könnten Signale der elektromagnetischen und thermischen Interaktion von Dunkler Materie und Materie in den spektralen Signalen aus der kosmischen Frühzeit zu finden sein.
„Die baryonische Kühlung müsste zu zusätzlichen Fluktuationen in der 21-Zentimeterlinie von wenigen Prozent führen“, erklären die Forscher. „Diese wären mit künftigen 21-Zentimeter-Interferometern wie HERA30 potenziell detektierbar.“ Sollten diese Signale tatsächlich nachgewiesen werden, wäre dies eine Sensation – und ein weiterer, überraschender Aspekt im Rätsel um die Dunkle Materie. (Nature, 2018; doi: 10.1038/s41586-018-0151-x)
(Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, 04.06.2018 – NPO)