Effiziente Lichtwandler: Forscher haben bei einer Reihe von Cyanobakterien eine neue Form der Fotosynthese entdeckt. Diese Organismen können mithilfe eines speziellen Chlorophyll-Moleküls auch langwelliges Licht aus dem Nahinfrarotbereich verwerten – und so die bisher angenommene „Rot-Grenze“ der Fotosynthese überschreiten. Die Blaualgen setzen diesen Mechanismus offenbar immer dann ein, wenn nur wenig Licht aus dem sichtbaren Spektrum zu ihnen durchdringt, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.
Pflanzen, Algen und auch einige Bakterien nutzen das Sonnenlicht, um überlebenswichtige Energie zu gewinnen: Sie produzieren mithilfe der Lichtenergie unter anderem Zucker und Sauerstoff. Für diesen Prozess der Fotosynthese sind sie auf sogenannte Chlorophylle angewiesen – Farbpigmente, die als eine Art Lichtsammler fungieren und die absorbierte Strahlung in chemische Energie umwandeln.
Die meisten bekannten Organismen auf unserem Planeten nutzen dabei die grünen Farbstoffe Chlorophyll a und b, die gemeinsam Licht aus dem blauen und roten Spektralbereich absorbieren. Chlorophyll a kann rotes Licht aus dem sichtbaren Spektrum zwischen 680 und 700 Nanometern Wellenlänge verwerten, längere Wellenlängen aus dem energieärmeren Bereich jedoch nicht. Die kleinste Menge an Energie, mit der die Fotosynthese noch möglich ist, wird von Wissenschaftlern daher als „Rot-Grenze“ bezeichnet.
Verschobene Grenze
Dennis Nürnberg vom Imperial College London und seine Kollegen haben nun jedoch Lebewesen entdeckt, die diese vermeintliche Grenze verschieben: mehrere Arten von Cyanobakterien. Diese Spezies kommen auch mit energieärmerer Strahlung klar – sie sind dazu in der Lage, sogar Licht aus dem nahen Infrarotbereich für die Fotosynthese zu nutzen.
Die Forscher fanden heraus, dass Arten wie Chroococcidiopsis thermalis neben den bekannten Chlorophyllen zusätzlich ein Pigment namens Chlorophyll f besitzen. Dieser erst vor kurzem entdeckte Farbstoff scheint bei den Cyanobakterien die Umwandlung von längerwelligem Sonnenlicht zu ermöglichen.
In schattiger Umgebung
Doch wozu diese Anpassung? Experimente zeigten, dass die Bakterien diese besondere Form der Reaktion unter extrem schattigen Bedingungen nutzen. Geraten sie in eine solche Umgebung, stellen sie demnach ihre Fotosynthese von dem Standard-System auf das Chlorophyll-f-System um. Auf diese Weise können sie dort überleben, wo andere fotosynthesebetreibende Organismen eingehen würden.
Wissenschaftler kannten zwar schon ein Cyanobakterium, das Licht jenseits der Rot-Grenze verwertet: die Spezies Acaryochloris marina. Diese nutzt hauptsächlich das Pigment Chlorophyll d für die Fotosynthese und stellt damit eine absolute Ausnahme dar. Der nun entdeckte Mechanismus mit Chlorophyll f scheine im Gegensatz dazu jedoch weiter verbreitet zu sein, betont das Forscherteam.
Ansatz für neue Getreidesorten?
„Eine neue Form der Fotosynthese zu finden, die jenseits der Rot-Grenze funktioniert, verändert unser Verständnis über die für diesen Prozess nötigen Voraussetzungen“, sagt Nürnbergs Kollege Andrea Fantuzzi. Die Entdeckung dieser Art der Fotosynthese werde in Zukunft nicht nur die Schulbücher umschreiben, sind die Forscher überzeugt.
Ihrer Ansicht nach könnten die neuen Erkenntnisse zum Beispiel auch Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Getreidesorten aufzeigen, die das verfügbare Licht noch effizienter nutzen können – oder die Suche nach außerirdischem Leben verändern. Denn die „Rot-Grenze“ wird auch in der Astrobiologie genutzt: Um abzuschätzen, ob auf Planeten außerhalb unseres Sonnensystems komplexes Leben entstanden sein könnte. (Science, 2018; doi: 10.1126/science.aar8313)
(AAAS/ Imperial College London, 18.06.2018 – DAL)