Mysteriöse Teilchenspur: Der Neutrino-Detektor IceCube hat ein Signal eingefangen, das Physikern Rätsel aufgibt. Denn diese Teilchenspur ist viel energiereicher als alle bisher registrierten. Eine mögliche Erklärung dafür liefern nun zwei US-Physiker. Sie vermuten, dass das Signal von einem Tau-Lepton verursacht wurde – dem Kollisionsprodukt eines Tau-Neutrinos mit einem Atom. Das aber könnte bedeuten, dass kosmische Neutrinos noch viel energiereicher sind als bisher angenommen.
In jeder Sekunde rasen Milliarden von Neutrinos durch unseren Körper, ohne dass wir es merken. Denn diese fast masselosen „Geisterteilchen“ gehen nur selten eine Wechselwirkung mit anderer Materie ein – entsprechend schwer ist es, sie aufzuspüren. Zudem können sich die drei Neutrino-Sorten – Elektron-, Myon- und Tau-Neutrino – im Flug in eine andere Sorte umwandeln.
„Kosmische Boten“
Um die schwer fassbaren Neutrinos nachzuweisen, nutzen Physiker Detektoren, die die Teilchen und Lichtblitze registrieren, die die Neutrinos bei ihren seltenen Kollisionen mit Atomen hinterlassen. Der Detektor IceCube besteht dafür aus mehr als 5.000 basketballgroßen Photosensoren, die tief im antarktischen Eis versenkt sind. Mit ihm gelang es Forschern vor einigen Jahren, die besonders energiereichen kosmischen Neutrinos aufzuspüren.
„Diese Neutrinos mit ihrer hohen Energie sind neue kosmische Boten und es ist außerordentlich wichtig, dass wir ihre Nachricht genau verstehen“, sagt Ranjan Laha vom US National Accelerator Laboratory in Kalifornien. Denn diese Teilchen entstehen nach gängiger Annahme bei einigen der dramatischsten Ereignisse im Kosmos wie Supernovae und Gammastrahlen-Ausbrüchen
Rätselhafte Teilchenspur
Doch eine Teilchenspur im IceCube-Detektor gibt Physikern bis heute Rätsel auf: Im Juni 2014 verzeichneten die Sensoren ein Ereignis mit außergewöhnlich hoher Energie. Das Signal erreichte eine Stärke von 2,6 Petaelektronenvolt (PeV) – deutlich mehr als alle bisher bekannten Ereignisse. IceCube hat erst dreimal überhaupt Signale von mehr als einem PeV eingefangen – und keines davon erreichte diese Energie, wie Laha und sein Kollege Matthew Kistler von der Stanford University berichten.
„Diese Spur vom Juni 2014 wirft sofort Fragen auf“, sagen die Forscher. „Welche Neutrino-Sorte hat diese Spur erzeugt? Was bedeutet dies für die Natur der kosmischen Neutrinos?“ Bisher gingen die Physiker davon aus, dass diese extrem energiereiche Teilchenspur von einem Myon stammt – einem Elementarteilchen, das bei Kollision eines Myon-Neutrinos mit einem Atomkern entsteht.
Tau statt Myon?
Jetzt jedoch wecken neue Analysen der beiden Physiker Zweifel an dieser Interpretation. Denn ihren Berechnungen nach ist die Teilchenspur für ein Myon zu energiereich – und der Abstand zu den restlichen Myon- Signalen zu groß. „Es ist unwahrscheinlich, dass das Spektrum der Neutrinos, die für die IceCube Ereignisse zwischen 40 TeV und 2 PeV verantwortlich sind, eine solche Spur erzeugen können“, so die Forscher.
Stattdessen erwägen die Wissenschaftler die Möglichkeit, dass die Spur von einem hochenergetischen Tau-Lepton stammen könnte. Dieses Teilchen ist der schwerste „Bruder“ des Elektrons und kann gängiger Theorie nach bei Kollisionen von Tau-Neutrinos mit Atomen entstehen. Sollte sich dies bewahrheiten, wäre dies eine Premiere. Denn: „Ein eindeutiges Tau-Signal ist bisher noch nie von IceCube identifiziert worden“, so die Forscher.
Spitze eines Eisbergs?
Das aber bedeutet: Wenn das rätselhafte Signal wirklich von einem Tau-Lepton stammt, wirft dies ein ganz neues Licht auf die Population der kosmischen Neutrinos. Denn um die große Energie von 2,6 PeV im Detektor abzugeben, bräuchte das entsprechende Tau-Neutrino eine Anfangsenergie von mindestens 67 PeV, wie die Physiker errechneten. Das jedoch ist deutlich mehr als bisher für kosmische Neutrinos nachgewiesen oder angenommen.
„Dies würde ein Fenster zu einem Strom von astrophysikalischen Neutrinos mit unerwartet hohen Energien öffnen“, sagen Kistler und Laha. Das 2,6-PeV-Signal in IceCube wäre dann der erste Hinweis auf diese neuartige, hochenergetische Komponente des kosmischen Neutrinospektrums. „Unseren Modellen nach könnte dieses IceCube-Ereignis sogar erst die Spitze eines Eisbergs sein.“ Die beiden Physiker plädieren daher dafür, dieses Ereignis noch weiter zu analysieren. (Physical Review Letters, 2018; doi: 10.1103/PhysRevLett.120.241105)
(Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 20.06.2018 – NPO)