Wieder haben Forscher eines der Geheimnisse aus der Trickkiste der Natur enträtselt: Sie analysierten die Hülle des Glasschwamms, eines Tiefseebewohners, und fanden heraus, warum diese Glaskonstruktion so unzerbrechlich ist: Die Anordnung der Glasfasern ist der Schlüssel.
Der Glasschwamm Euplectella zeigt, welch außergewöhnliche Materialien die Natur aus einfachsten Rohstoffen herstellen kann. Der in Meerestiefen von 40 bis zu 5000 Metern lebende Gießkannenschwamm besitzt ein käfigartiges gläsernes Skelett. Wissenschaftler der Bell Labs (USA), der Universität Kalifornien und des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam haben jetzt herausgefunden, warum diese Konstruktion aus Bio-Glasfasern praktisch unzerbrechlich ist: Die Fasern sind über viele Größenordnungen und insgesamt sieben hierarchische Ebenen optimal miteinander verknüpft – ein Bauprinzip der Natur, das für die heutige Technik von großem Interesse ist. Das Wissenschaftsmagazin „Science“ stellt diese Forschungsergebnisse als Titelgeschichte in seiner neuen Ausgabe vor.
Der Schwamm ähnelt einem weißen Kolben voll feiner Löcher. Durch diese können Larven einer bestimmten Garnelenart in sein Inneres gelangen. Meist siedeln sich dort Pärchen an, die dann rasch zu groß werden für die Öffnungen ihrer Behausung. Das Krabbenpaar verbringt deshalb sein ganzes Leben in dem Schwamm – in Japan wird er daher auch „Gefängnis der Ehe“ genannt und gilt als beliebtes Hochzeitsgeschenk.
In sieben Stufen zur Unzerbrechlichkeit
Doch wie gelingt es dem Glasschwamm, den beträchtlichen mechanischen Beanspruchungen in der Tiefsee zu widerstehen? So haben die kleinen Krabben beachtliche Zangen und auch andere äußere Einflüsse sollten leicht zum Bruch der filigranen Glasstruktur führen. Tatsächlich ist der Käfig aber praktisch unzerbrechlich.
Die Wissenschaftler haben diese Strukturen vom Nanometer- bis zum Zentimeterbereich untersucht: Hierbei förderten sie zutage, dass dieser Käfig aus mindestens sieben hierarchischen Stufen aufgebaut ist. Das Skelett selbst besteht aus Glasfasern, von denen bereits bekannt ist, dass sie Licht ausgezeichnet leiten können. Wie aber lässt sich aus Glasfasern ein bruchfester Käfig bauen?
Eine erste Antwort fand sich im Inneren der Fasern, die aus konzentrisch angeordneten Glasschichten mit wenigen Mikrometern Dicke aufgebaut sind. Die Glaslamellen sind untereinander durch eine hauchdünne Klebeschicht aus organischer Matrix verbunden. Das Glas selbst entsteht offenbar durch das Aneinanderfügen von Silikat-Nanopartikeln, wie sich durch Ätzungen zeigen ließ. Nanopartikel, Lamellen und Fasern bilden die hierarchischen Ebenen 1-3.
Mikrolaminat und Gll-Fachwerk
Der Faseraufbau in Form eines Mikrolaminats ist ganz wesentlich für die Verringerung der Sprödigkeit des Glases. Risse und Kratzer, wie sie zum Beispiel durch die Zangen von Garnelen hervorgerufen werden können, führen daher nicht so leicht zum Bruch wie bei massivem Glas, denn Risse werden an den organischen Zwischenschichten abgelenkt und so am Ausbreiten gehindert.
Bündel aus einer Vielzahl von Fasern unterschiedlicher Dicke sind mit Glaszement zu starken Konstruktionsstäben verbunden (Ebene 4). Diese Stäbe sind vertikal, horizontal und diagonal angeordnet und zu einem lockeren Netz verwoben (Ebene 5). Ihre Struktur ähnelt einer Fachwerkkonstruktion. Deren genaue Analyse zeigt, dass die diagonalen Verstrebungen gerade ausreichen, um das Fachwerk gegen Scherung zu versteifen. Offenbar hat der Tiefseeschwamm hier wesentliche Ingenieurprinzipien vorweggenommen.
Zusätzlich ist die Struktur durch spiralförmige Rippen verstärkt, um ein Quetschen der Käfigstruktur zu erschweren (Ebene 6). Die letzte hierarchische Ebene ist die geschwungene Form des Käfigs selbst, der sich nach unten verjüngt, wo der Schwamm durch dünne Glasfäden im Meeresboden locker verankert ist.
Kombination der „Tricks“ gibt neue Impulse
Diese natürliche Konstruktion ist nach Anischt der Forscher ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie sich auch mit spröden Materialien wie Glas bruchfeste Strukturen erzeugen lassen. Einzelne dieser Prinzipien sind in der Werkstoffwissenschaft, in der Mechanik und in der Architektur längst bekannt und werden auch eingesetzt. Die Faseranordnung von Euplectella ist sogar schon als Vorbild für architektonische Bauten verwendet worden.
Wirklich erstaunlich ist jedoch der Umstand, dass es dem Schwamm gelingt, eine ganze Reihe von mechanischen Konstruktionsprinzipien auf vielen Größenskalen vom Nanometer bis zum Zentimeter zu kombinieren und gleichzeitig einzusetzen. Ähnliches ist aus dem Bereich der Technik noch nicht bekannt und bedeutet einen neuen Impuls für die biomimetische Materialforschung.
Ein ganz wesentliches Geheimnis hat der Tiefseeschwamm Euplectella allerdings noch nicht preisgegeben: Es ist völlig unbekannt, wie ein so vergleichsweise primitiver Organismus ein derart komplexes und über viele hierarchische Stufen optimiertes Gebilde wie das Venusblumenkörbchen überhaupt hervorbringen kann.
(MPG, 11.07.2005 – NPO)