Vor einigen Jahren erregte die lebensechte Nachbildung der Köpfe von Hominiden erhebliches Aufsehen, die als Vorfahren der Menschheit vor mehreren Hunderttausend bis Millionen Jahren gelebt haben. Nun hat auch der Hominide „Kenyanthropus platyops“ ein Gesicht in dieser Schädel-Ahnengalerie bekommen. Paläoanthropologen rekonstruierten den gesamten Kopf des flachgesichtigen Keniamenschen anhand eines Oberkieferfragments sowie eines in Teilen erhaltenen Schädels.
Detailgetreu und lebensecht schaut er aus, der Kopf des afrikanischen Hominiden „Kenyanthropus platyops“. Doch woher wissen die Forscher überhaupt, wie der Hominide aus Afrika tatsächlich ausgesehen haben könnte? Bereits 1998 und 1999 hatte ein Team um die Paläoanthropologin Meave Leakey am Westufer des Turkanasees in Kenia ein Oberkieferfragment sowie einen unvollständigen, aber gut erhaltenen Schädel gefunden, der von einer neuen, eigenen Art stammen musste. Eben diese Fragmente dienten den Wissenschaftlern nun als Vorlage für die Rekonstruktion: Mithilfe eines Lasers tasteten sie einen Abguss des Schädel ab, verarbeiteten die digitalisierten Daten anschließend im Computer und konnten auf dieser Grundlage den Kopf in seinem wahrscheinlichen Aussehen nachbilden.
„Kenyanthropus platyops“ lebte vor rund 3,2 bis 3,5 Millionen Jahren und gilt damit als Zeitgenosse des „Australopithecus afarensis“, der vor allem durch die fossilen Überreste von „Lucy“ berühmt geworden ist. Wie die Nachbildung zeigt, trägt der „flachgesichtige Keniamensch“ (platus (gr.) = flach; opsis (gr.) = Gesicht) seinen Namen zu Recht:. Er verfügte ähnlich dem „Australopithecus anamensis“ und „Australopithecus afarensis“ über ein kleines, schimpansengroßes Gehirn. Zusätzlich jedoch zeigt der Keniamensch auch fortschrittlichere Merkmale wie ein Jochbein und eine hohe Wangenregion, die ihn in die Nähe des Urmenschen „Homo rudolfensis“ rücken.
Die weltweit einzige und erste lebensechte Kopfrekonstruktion eines „Kenyanthropus platyops“ ist nun ab dem 26. August 2005 im Hessischen Landesmuseum Darmstadt zu sehen. Damit erweitert das Haus seine schon jetzt europaweit größte Sammlung von Büsten urzeitlicher Menschen-Verwandten auf insgesamt neun Exponate.
Menschheitswiege Afrika
Bis vor etwa zwei Millionen Jahren spielte sich die gesamte Entwicklung der Menschheit in Afrika ab – zumindest wenn man von den bisherigen Fossilfunden ausgeht. Die Vormenschen, wie die Australopithecinen auch genannt werden, hatten ein kleines Gehirn, das mit 450 bis 800 Kubikzentimetern nur etwa halb so groß war wie das des modernen Menschen. Obwohl sie ein Becken besaßen, das ihnen den aufrechten Gang ermöglichte, ähnelten sie in ihrer Lebensweise wohl eher den heutigen Schimpansen. Im Gegensatz zu den Menschenaffen besaßen sie jedoch keine langen Eckzähne, was erst die Mahlbewegungen des Kiefers ermöglichte. Dies scheint eine Anpassung an die Aufnahme und das Zerkauen härterer pflanzlicher Nahrung gewesen zu sein. Erst vor schätzungsweise 1,5 Millionen Jahren machte sich der Homo Erectus auf Wanderschaft und drang während der Eiszeit bis nach Südostasien vor.
(Hessisches Landesmuseum Darmstadt, 13.09.2005 – AHE)