Patienten mit Leber- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs haben meist sehr schlechte Heilungschancen, da die Tumoren keine Frühsymptome zeigen und oft zu spät entdeckt werden. Wissenschaftler der Universitätsklinik Münster arbeiten derzeit an einem neuartigen Ansatz zur Behandlung dieser bösartigen Tumoren: Sie untersuchen, bei welchen Tumortypen das Zellgift „Viscumin“ aus der Mistel zur Therapie erfolgversprechend eingesetzt werden kann. Außerdem prüfen die Forscher, ob sie die Tumoren anhand spezifischer Tumormarker früher als bisher aufspüren können.
Der Wirkstoff Viscumin ist ein Zellgift aus der Mistel (lateinisch Viscum album). Viscumin wirkt zellschädigend, da es den Aufbau lebenswichtiger Eiweißstoffe hemmt, so dass die Zelle abstirbt. Bisher wird das Pflanzengift direkt aus der Mistel gewonnen. Heutzutage wird es auch im Labor als „rViscumin“ in hochreiner Form produziert. „Es ist das erste gentechnisch hergestellte pflanzliche Protein, das jetzt in klinischen Studien erprobt werden kann“, erklärt Professor Dr. Johannes Müthing, Leiter des von der Deutschen Krebshilfe geförderten Forschungsprojekts an der Universitätsklinik Münster. Sein Forscherteam hat unlängst die Rezeptoren identifiziert, über die das rViscumin an die Krebszellen bindet und anschließend in die Zelle gelangt.
„Tumorzellen können diese Rezeptoren in erhöhter Anzahl tragen“, erklärt Professor Müthing. „Zudem konnte in Laborversuchen gezeigt werden, dass das rViscumin an Krebszellen bindet.“ Die Wissenschaftler gehen daher davon aus, dass Krebszellen im Vergleich zu gesunden Zellen das Mistelgift bevorzugt aufnehmen. Die Arbeitsgruppe von Professor Müthing hat bereits eine erhöhte Rezeptordichte bei Krebszellen des Magen-Darm-Trakts nachgewiesen. „Somit könnte man das pflanzliche Zellgift für eine gezielte Abtötung der Tumoren nutzen“, so der Projektleiter.
Das Team um Müthing untersucht im Rahmen der neuen Studie zunächst bei jeweils 30 Betroffenen mit Tumoren der Leber oder Bauchspeicheldrüse die spezifischen molekularen Strukturen der Krebszellen. Die Wissenschaftler prüfen vor allem, ob die bösartig veränderten Gewebeproben höhere Konzentrationen der rViscumin- bindenden Rezeptoren aufweisen als gesundes Gewebe. „Ein wesentliches Ziel dieser Studie ist es, das Pflanzengift rViscumin ergänzend zur Chemo- und Strahlentherapie individuell bei Patienten mit Leber- beziehungsweise Bauchspeicheldrüsenkrebs einzusetzen, um ihre Heilungschancen zu verbessern“, erklärt Müthing. „Denn für diese Tumoren gibt es gegenüber anderen Krebsarten des Magen-Darm-Traktes noch keine befriedigende Therapiemöglichkeiten.“
Neben der Verbesserung der Behandlung dieser Tumoren wollen die Forscher die identifizierten Rezeptoren auch als Marker zur Diagnostik nutzen: Bei Krebszellen können sich diese Strukturen von der Zellmembran ablösen und sind dann möglicherweise in erhöhter Konzentration im Blut vorhanden. „Durch den frühzeitigen Nachweis dieser verräterischen Strukturen im Blut können Tumoren der Bauchspeicheldrüse und der Leber möglicherweise früher als bisher aufgespürt und somit schneller behandelt werden“, so der Forscher.
(Deutsche Krebshilfe, 27.01.2006 – NPO)