Der erste und damit namengebende Neandertalerfund von 1856 wird seit 1991 im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojektes umfassend neu untersucht. Jetzt wurden erste Ergebnisse dieses Projekt vorgestellt: Ein erstes Schädel-Modell, das die Basis für eine beabsichtigte Gesichtsrekonstruktion des Neandertalermannes aus der Kleinen Feldhofer Grotte im Neandertal bilden soll.
Computer helfen bei Rekonstruktion
Im Vorfeld wurden die Schädelknochen des Fundes durch moderne hochauflösende Computertomographen gescannt. Diese Daten wurden dann durch die Scans von neuentdeckten Knochenfragmenten ergänzt, die Jürgen Thissen und Ralf W. Schmitz vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen 1997 und 2000 an der wieder entdeckten Fundstelle des Neandertalers im Neandertal ausgegraben hatten. Diese sind mittels einer computergestützten Rekonstruktion virtuell an das Schädeldach von 1856 angesetzt worden. Fehlende Teile wurden durch Spiegelung ergänzt oder durch dreidimensionale Daten eines sehr ähnlichen Neandertalers von der französischen Fundstelle La Ferrassie ersetzt.
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Die so gewonnenen Computerdaten sind am Bonner Forschungsinstitut Caesar mittels moderner Lasertechnologie in eine sogenannte Stereolithographie, ein Kunststoffmodell, umgesetzt worden, das sowohl Innen- als auch Außenstrukturen zeigt. Bei diesem Prozess wird ein flüssiger Kunststoff durch Laserpulse an genau durch den Datensatz vorgegebenen Positionen gezielt gehärtet. Da das so entstehende Modell auf CT-Röntgendaten basiert, zeigt es nicht nur wie ein konventioneller Abguss Außenstrukturen des Knochens, sondern bildet auch alle inneren Strukturen gut ab.
Internationale Beteiligung
An der Untersuchung des Neandertalers und der neuen Funde unter Projektleitung des seit 1997 in Tübingen lehrenden Schmitz sind derzeit 26 internationale Wissenschaftler aus 18 Instituten beteiligt. Das Projekt finanziert sich einerseits aus den Budgets der beteiligten Institute, andererseits aus Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen.
Wissenschaftliche Ziele sind unter anderem die Bestimmung des Lebensalters sowie der Krankheiten und Verletzungen, weiterhin die Untersuchung von vielleicht mit Totenriten der Neandertaler in Verbindung stehenden Schnittspuren auf den Menschenknochen. Von Bedeutung ist auch die Radiokarbon-Datierung auf rund 42 000 Jahre, womit die Neandertal-Funde zu den jüngsten Spuren der Neandertaler in Mitteleuropa zählen, und die Untersuchungen der Ernährung über die Mengenverhältnisse stabiler Isotope von Kohlenstoff und Stickstoff.
(Universität Tübingen, 17.03.2006 – NPO)