Frauen sind generell schmerzempfindlicher als Männer: Ihre Schmerz- und Toleranzschwelle ist niedriger und sie leiden häufiger unter chronischen oder wiederkehrenden Schmerzen als Männer. Und nicht nur das Geschlecht beeinflusst die Schmerzwahrnehmung, auch der Hormonstatus spielt eine Rolle. Diese grundlegenden Thesen stellten Forscher auf dem Deutschen Schmerzkongress 2006 in Berlin vor.
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Schmerz ist eine sehr komplexe und multidimensionale Wahrnehmung, die durch eine Vielzahl verschiedener biologischer und psychosozialer Variablen beeinflusst wird. Ein klinisch bisher wenig beachteter und wissenschaftlich erst in den letzten Jahren in den Vordergrund gerückter Faktor ist das Geschlecht des Patienten. Verschiedene systematische Untersuchungen unter standardisierten Bedingungen an freiwilligen Probanden und Probandinnen weisen darauf hin, dass die Schmerzempfindlichkeit bei Frauen generell größer ist als bei Männern.
Frauen im gebärfähigen Alter zeigen dabei zum Beispiel generell eine niedrigere Schmerzschwelle sowie eine geringere Toleranzschwelle auf Schmerzreize unterschiedlicher Modalität (Hitze, mechanische Reize, elektrische Reize). Hierbei scheint allerdings nicht nur das Geschlecht, sondern auch der Hormonstatus bei Frauen eine Rolle zu spielen. Experimentelle Untersuchungen weisen auf eine deutliche Abhängigkeit der Schmerzempfindlichkeit bei Frauen vom Menstruationszyklus hin.
Östrogenspiegel beeinflusst Kopfschmerzen
Eine hormonelle Abhängigkeit der Schmerzempfindung bei Frauen wird aus klinischer Sicht schon lange vermutet. So sind gerade bei Frauen im gebärfähigen Alter chronische oder wiederkehrende schmerzhafte Erkrankungen auffallend häufig zu finden. Neuere Untersuchungen zeigen nun Zusammenhänge zwischen Hormoneffekten und der Entstehung von Schmerzen auf. So unterliegt zum Beispiel die Ausschüttung verschiedener Neurotransmitter, wie Serotonin, Acetylcholin, Dopamin und beta- endorphine, Veränderungen im Plasma-Östrogenspiegel.
„Ein durch sinkende Östrogenspiegel ausgelöster Abfall von Serotonin scheint hemmende Effekte an einem bestimmten Rezeptor zu verhindern und damit das Auslösen von Kopfschmerzen zu begünstigen“, erläutert Prof. Pogatzki-Zahn. Auch die Erregbarkeit von Kontaktstellen zwischen Nervenzellen (Synapsen) im zentralen Nervensystem und die Expression verschiedener Rezeptoren scheinen vom hormonellen Status abzuhängen.
Tieren, denen man Östrogen verabreicht, sind vermehrt schmerzempfindlich; dies weist auf eine vermehrte Schmerzempfindlichkeit bei hohen Östrogenspiegeln hin. Aber auch der Entzug von Östrogen scheint einen schmerzsteigernden Effekt zu haben.
Schwankungen im Zyklusverlauf
„All diese Erkenntnisse aus experimentellen Untersuchungen sind wahrscheinlich nicht unerheblich für die Entstehung und Therapie von klinisch relevanten Schmerzzuständen“, so Prof. Pogatzki-Zahn. Abhängig von der Zyklusphase scheint zum Beispiel die Intensität chronischer Schmerzen bei Frauen zu variieren. Bei Fibromyalgiepatientinnen ist die Schmerzstärke zum Beispiel in der Lutealphase, in der Östrogen und Progesteron hoch sind, erhöht. Darüber hinaus müssen Frauen, die nach den Wechseljahren mit Östrogenen behandelt werden, möglicherweise mit vermehrten Schmerzsyndromen rechnen. Hohe Östrogen- und Progesteronwerte in der Schwangerschaft scheinen dagegen die Schmerzschwellen eher zu steigern und damit das Schmerzempfinden zu dämpfen.
Wirksamkeit von Schmerzmitteln
In den letzen Jahren konnten neben hormonellen Einflüssen weitere Faktoren identifiziert werden, die für geschlechtsabhängige Unterschiede in der Schmerzempfindlichkeit eine Rolle spielen könnten. Hierzu zählen zum Beispiel genetische Faktoren, die bei Frauen und Männern eine unterschiedliche Rolle spielen. Im Tierexperiment kann das Fehlen eines Genes, das zum Beispiel für ein Rezeptor- oder Ionenkanalprotein oder einen Neurotransmitter kodiert, die Empfindlichkeit für Schmerzreize verändern; dies ist, bei einigen nachgewiesenen Proteinen wie zum Beispiel dem Kaliumkanal GIRK, relevant für das eine, nicht aber das andere Geschlecht.
„Es scheint also Proteine zu geben, die in das Schmerzgeschehnen bei Frauen und Männern unterschiedlich einwirken bzw. Frauen möglicherweise schmerzempfindlicher machen als Männer“, erklärt Prof. Pogatzki-Zahn. Hierzu zählt auch der unterschiedliche Effekt verschiedener Analgetika bei Frauen im Vergleich zu Männern, wobei allerdings häufig Frauen diejenigen sind, die „besser“ auf einige Analgetika ansprechen als Männer. Ob und in wieweit psychologische und soziokulturelle Faktoren hierbei eine Rolle spielen, ist bisher nur in Ansätzen untersucht worden. Nicht zuletzt sind in den letzen Jahren durch die verbesserten Techniken nicht- invasiver bildgebender Verfahren auch Hinweise für Unterschiede in der zerebralen Verarbeitung von Schmerzen bei Frauen und Männern gegeben worden, die einige geschlechts- und hormonabhängige Einflüsse auf das Schmerzgeschehen aufdecken konnten. „Diese Erkenntnisse sind von klinischer Relevanz für die Praxis und sollten in Zukunft vermehrt bei der Therapie von Schmerzen Berücksichtigung finden“, folgert Prof. Pogatzki-Zahn.
(idw – Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS), 12.10.2006 – AHE)