Die rätselhafte dunkle Materie ist es, die dem Universum seine Struktur gibt. Ein internationales Wissenschaftlerteam hat nun eine dreidimensionale Karte dieses unsichtbaren Gerüsts erstellt, um das sich die sichtbare Materie anordnet. Die jetzt in „Nature“ veröffentlichte Karte zeigt in einem Ausschnitt des Universums sowohl die Verteilung dunkler als auch gewöhnlicher, baryonischer Materie. Dieser Ausschnitt umfasst 500.000 Galaxien und ist der bislang größte, den Astrophysiker auf diese Weise kartografiert haben.
Über 80 Prozent der gesamten Masse des Universums bestehen aus dunkler Materie. Sie sendet keine elektromagnetische Strahlung wie etwa sichtbares Licht aus. Nur durch Gravitation kann sie mit normaler baryonischer Materie oder mit Licht wechselwirken. Und genau diese Eigenschaft nutzte das Wissenschaftlerteam aus, um die dreidimensionale Verteilungskarte der dunklen Materie zu zeichnen. Diese Karte bestätigt die Standardtheorie zur Rolle der dunklen Materie, nach der diese als Gerüst des Universums dient. Nach Ansicht der Astrophysiker war die dunkle Materie ursprünglich gleichmäßig verteilt, später verdichtete sie sich in manchen Bereichen. Diese Stellen mit besonders viel dunkler Materie ziehen durch ihre stärkere Gravitation die sichtbare Materie an, so dass sich diese zusammenballt. So entstehen Sterne, Galaxien und ganze Galaxienhaufen.
Dunkle Materie ungleichmäßig verteilt
Die jetzt erstellte Karte zeigt ein über das Universum verteiltes Netz dunkler Materie. An manchen Orten ist die dunkle Materie jedoch sehr dicht – und genau an diesen Stellen befinden sich die Galaxien und das heiße Gas der normalen Materie. Diese Verteilung der Materie im Universum zeigt, dass die baryonische Materie der dunklen Materie folgt.
Die Daten, die die Forscher für die Landkarte verwendeten, stammen vom Weltraumteleskop Hubble. Im Rahmen des Cosmic Evolution Survey (COSMOS) hat Hubble einen verhältnismäßig großen Ausschnitt des Weltalls hochaufgelöst abgebildet, nämlich 1.6 Grad im Quadrat. Dieser Ausschnitt, das COSMOS-Feld, hat eine Größe von achtmal der Fläche des Vollmonds und ist damit der bisher größte auf diese Weise vermessene Ausschnitt des Alls. Dabei ist eine umfangreiche Sammlung sehr detaillierter Bilder von einer halben Million Galaxien entstanden. Und weil die Gravitation der dunklen Materie das Licht dieser Galaxien ablenkt, konnten die Forscher im Umkehrschluss aus der Gestalt der Galaxien auf die Verteilung der dunklen Materie schließen.
Graviationslinsen halfen bei Kartierung
Die Methode, die sie dabei verwendeten, beruht auf dem schwachen Gravitationslinseneffekt. Der Effekt lässt sich durch eine einfache Analogie erklären: Wenn Licht durch eine Milchglasscheibe mit aufgerauter Oberfläche, wie zum Beispiel bei Badezimmerfenstern, fällt, wirft es ein charakteristisches Muster an die Wand. Dieses Muster gibt Aufschluss darüber, wie die Oberfläche des Glases strukturiert ist. Auf ganz ähnliche Weise haben die Astrophysiker aus der Gestalt der Galaxien die Verteilung der dunklen Materie bestimmt.
Doch nicht nur dunkle Materie, sondern auch baryonische Materie, wie zum Beispiel ein Stern oder eine Galaxie, lenkt das Licht ab. Im Gegensatz zur dunklen Materie sind die Sterne der Galaxien sichtbar, aus Farbe und Entfernung konnten die Wissenschaftler deshalb auf deren Masse schließen.
Unter der Leitung von Günther Hasinger und seiner Gruppe am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik wurde das COSMOS-Feld auch mit dem XMM-Newton Teleskop der ESA durchmustert. Dieses Teleskop misst die Röntgenstrahlung von heißem Gas im Universum, also die baryonische Materie, die sich an den Orten zusammenballt, wo besonders viel dunkle Materie vorhanden ist. Das von Alexis Finoguenov am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik erstellte Röntgenbild hatte für das Kartografierprojekt einen besonderen Wert: Es bestätigte die Verteilung der baryonischen Materie vollkommen unabhängig von den Messungen des Gravitationslinseneffektes und half damit, die verwendete Methode zu eichen.
(MPG, 08.01.2007 – NPO)