Einen sensationellen Fund hat die Grube Messel hervorgebracht: Paläontologen entdeckten dort das erste jemals hier geborgene, extrem gut erhaltene Primatenskelett. Das rund 47 Millionen Jahre alte Fossil gehört einer frühen Gruppe der modernen Primaten an und eröffnet neue Einblicke in die Entwicklung und Lebensweise dieser möglicherweise frühen Verwandten der höheren Primaten.
Die Grube Messel in der Nähe von Darmstadt gilt als paläontologische Schatzkammer, nirgendwo sonst in Europa wurden so viele vollständige und gut erhaltene Fossilien der Vorzeit geborgen. Vor rund 47 Millionen Jahren eine tropische Sumpflandschaft, bot Messel optimale Bedingungen für die Konservierung selbst von Federn, Haaren und Weichteilen vieler Tiere. Während Krokodile, einfache Säuger und Pflanzen reichlich im Fossilienschatz vertreten sind, war eine Tiergruppe bislang eher unterrepräsentiert: die Primaten.
Die moderneren Primatenformen tauchten erstmals vor rund 55 Millionen Jahren, zu Beginn des Eozän, in Form zweier Überfamilien auf: als Tarsoidea, deren Nachfahren noch heute existieren, sowie als Adapoidea, zu denen auch die Unterfamilie der Cercamoniinae gehört. Diese Gruppe ist aus evolutionsbiologischer Sicht besonders interessant, weil diese Tiere bereits ein affenähnliches Gebiss besaßen und damit möglicherweise einen ersten Schritt in Richtung der späteren höheren Primaten darstellen könnten. Von diesen ersten Primatenformen, eher kleine und unscheinbare Tiere, konnten jedoch in Messel bisher nur acht extrem fragmentarische Relikte geborgen werden.
Bedeutung erst nach neuem Fund erkannt
Jetzt jedoch ist ein sensationeller Fund bekannt geworden: Ein komplettes und ungewöhnlich gut erhaltenes Primatenskelett der Cercamoniinae. Das Darwinius masillae getaufte Fossil hat eine ungewöhnliche Geschichte hinter sich und seine Bedeutung wurde daher erst jetzt erkannt. Vermutlich ist der erste, kleinere Teil des Skeletts bereits 1983 von einem privaten Ausgräber am Fuße des so genannten Schildkrötenhügels entdeckt worden. Er verkaufte es an ein privates Museum in Wyoming und seine Bedeutung blieb zunächst unerkannt.
Den zweiten, größeren Teil des Skeletts entdeckten erst jetzt Wissenschaftler eines internationalen Teams unter Beteiligung von Forschern des Naturkundemuseums Oslo und des Senckenberg Forschungsinstituts. Schnell erkannten die Wissenschaftler, dass ihr Skelett den Gegenpart zum zuvor geborgenen Fossil darstellte. Zusammengenommen ist das Skelett das vollständigste und besterhaltenste Primatenfossil, das jemals aufgespürt worden ist. Zwar sind einige Knochen und Zähne zerdrückt, dafür aber sind sogar Weichteilkonturen und der Inhalt des Verdauungstrakts gut sichtbar konserviert.
Junges Weibchen war nachtaktiv
Mithilfe von bildgebenden Verfahren wie der Computertomographie konnten die Forscher belegen, dass es sich um eine weibliche jugendliche Vertreterin der Primaten der Unterfamilie Cercamoniinae handelt. Das wahrscheinlich neun bis zehn Monate alte Jungtier war bereits abgestillt und bekam gerade die Zähne eines ausgewachsenen Tieres. Die großen Augenhöhlen deuten auf eine nächtliche Lebensweise dieser Primatenart hin. Die Oberschenkelmuskulatur war extrem stark ausgebildet, wie die Weichteilumrisse erahnen lassen. Darwinius besaß lange, bewegliche Finger und Zehen und konnte auch den großen Zeh abspreizen und wie einen Daumen benutzen.
Vermutlich lebte diese Primatenform in dichten Wäldern, war aber weder speziell ans Klettern noch an große Sprünge angepasst. Die bevorzugte Fortbewegungsform war vierfüßig. Modellierungen deuten auf ein Gewicht der ausgewachsenen Tiere von rund 650 bis 900 Gramm hin. Die im Verdauungstrakt noch teilweise erhaltenen Nahrungsreste bestehen aus Früchten und Blättern. Obwohl es damals in Messel auch reichlich Insekten gegeben haben muss, fanden sich von ihnen keine Spuren.
Wichtiges Bindeglied in der Primatenevolution
Nach Ansicht der Forscher ist dieses Fossil nicht nur ein Sensationsfund für Messel, sondern stellt ein wichtiges Bindeglied in der Evolution der modernen Primaten dar. Wegen seines guten Zustands eröffnet es einen wertvollen Einblick in Entwicklung und Lebensweise der Primaten des Eozän und Oligozän.
(PLOS One, 22.05.2009 – NPO)