Wer sich noch nach Jahren an Nebensächlichkeiten oder Kleinkram erinnern kann, bekommt von anderen oft ein „Gedächtnis wie ein Elefant“ bescheinigt. Doch stimmt das Klischee vom Elefanten, der nie vergisst, eigentlich? Haben die Rüsseltiere tatsächlich ein ungewöhnlich gutes Erinnerungsvermögen?
„Ja“, sagt die Verhaltensforscherin Marion East vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) klipp und klar. „Alle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass diese Tiere wirklich ein sehr gutes Gedächtnis haben. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Sie sind darauf angewiesen, um zu überleben.“
Langes Leben und komplexe Sozialgefüge
Es sind vor allem zwei Faktoren, die eine ausgeprägte Erinnerungsfähigkeit fast zwingend erforderlich machen: die ungewöhnliche Gesellschaftsstruktur der Elefanten und ihre extrem lange Lebenserwartung. „Sie leben in sogenannten Fission-Fusion-Gesellschaften. Das heißt: Die Mitglieder einer Gruppe bleiben nicht, wie etwa bei einem Wolfsrudel, ständig zusammen. Vielmehr trennen sie sich immer mal wieder und jedes Tier geht seiner eigenen Wege“, erläutert die Biologin. Wenn sich die ehemaligen Gruppenmitglieder dann irgendwann, nach Jahren oder gar Jahrzehnten, wieder begegnen, ist es sehr von Vorteil, wenn sie sich sofort erkennen.
„Das ist so ähnlich wie beim Menschen, wenn man nach vielen Jahren einen Schulkameraden wiedertrifft“, illustriert East. Während viele Menschen jedoch Schwierigkeiten haben, in einem solchen Fall den alten Bekannten spontan korrekt einzuordnen, ist das für Elefanten kein Problem. „Das liegt daran, dass sich der Mensch fast ausschließlich auf seine Augen verlässt. Ein Elefant setzt dagegen vor allem auf seine Ohren und seinen Rüssel und nur zu einem geringen Teil auf seine Augen.“ Denn mit ihrem komplexen und ausgeklügelten Lautsystem, das unter anderem Töne im extrem tiefen Infraschallbereich umfasst, können die Dickhäuter über mehrere Kilometer hinweg kommunizieren – und sich dabei gegenseitig erkennen.
Auch Geräusche und Gerüche werden dauerhaft gespeichert
Das gute akustische Erinnerungsvermögen beschränkt sich aber nicht auf die Geräusche von Artgenossen. Auch Laute, die sie mit bestimmten Situationen oder Erfahrungen assoziieren, haften fest in ihrem Gedächtnis. „Elefanten haben zum Beispiel unglaubliche Angst vor dem Brummen von Bienen“, erzählt East. Das sei sinnvoll – schließlich könne eine Begegnung mit diesen Insekten äußerst unangenehm werden.
Ähnlich gut ist auch der ausgezeichnete Geruchssinn der Dickhäuter mit dem Gedächtnis gekoppelt. „Sie können beispielsweise verschiedene Menschengruppen an ihrem Geruch erkennen – und so diejenigen meiden, die ihnen nicht wohlgesonnen sind“, berichtet East. Das funktioniere so gut, dass Farmer in Afrika den typischen Duft in der Kleidung bestimmter Ethnien benutzten, um die Elefanten von ihren Feldern fernzuhalten.
Einmal gelernt, scheinen solche Verbindungen fürs Leben im Gedächtnis zu bleiben. Aus diesem Grund sind auch die alten Leitkühe so wichtig für eine Gruppe. „Sie und ihre Erfahrungen spielen eine Schlüsselrolle für das Überleben der Gruppe“, betont East. So sterben beispielsweise in Dürreperioden vor allem jüngere Tiere, die nicht von einer erfahrenen Kuh angeführt werden. Gruppen mit älteren Matriarchinnen profitieren dagegen vom Wissen ihrer Anführerinnen, denn diese können sie zielsicher zu Wasserstellen führen, die unter ähnlichen Umständen in der Vergangenheit weiterhin Wasser enthalten haben. „Die jungen Elefanten lernen dabei von den älteren, was man in bestimmten Situationen tun muss“, sagt East.
Lärmende Kinder statt Bienen
In Gefangenschaft sind die Tiere auf solche Erfahrungen nicht angewiesen. Doch auch hier kommen ihnen ihre geistige Flexibilität und ihr gutes Gedächtnis zugute. „Zooelefanten merken sich vielleicht nicht, dass Bienen gemein sind, dafür wissen sie aber, dass sie Gruppen von lärmenden Kindern möglichst ausweichen sollten“, führt Marion East aus.
Für die Biologin ist das ein klares Zeichen für eine hohe Intelligenz der Tiere. „Man muss sich ja klarmachen, dass das, was wir als Intelligenz bezeichnen, auf unsere Erfahrungswelt zugeschnitten ist“, betont sie. „Elefanten nehmen die Welt aber auf eine völlig andere Art und Weise wahr als wir, und in ihrer Welt werden auch völlig andere Fähigkeiten benötigt als in unserer.“ Deswegen hält sie die ganzen angeblichen Nachweise für die Intelligenz der Tiere – sie erkennen sich selbst im Spiegel, können rechnen, kooperieren bei Bedarf mit anderen und sind sehr treu -, für gar nicht so entscheidend. „Wichtig ist doch, dass sie in ihrer Welt überleben können. Und darin sind sie sehr gut.“