Sie werden blass um die Nase, bekommen Kopfschmerzen und Schwindel, kalter Schweiß bricht aus: Sobald ein Schiff den Hafen verlässt und es auf dem offenen Meer zu schaukeln beginnt, wird vielen Menschen mulmig zumute. Oft genug bleibt es nicht bei den harmlosen Symptomen. Schon bald wird den Seekranken speiübel, häufiges Erbrechen und das Gefühl, am liebsten sterben zu wollen, verderben die Reise. Die Betroffenen wollen einfach nur noch an Land. Aber ist eine solche Seekrankheit ein typisch menschliches Phänomen oder leiden auch Tiere darunter? Können beispielsweise Fische seekrank werden?
„Ja, allerdings wohl nicht im natürlichen Lebensraum“, sagt Ralf Anken vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Denn wenn es an der Oberfläche eines Gewässers turbulent werde, tauche ein Fisch einfach ab.
Anders sieht das aus, wenn Fische im Fangnetz schnell nach oben gezogen werden. Aber auch, wenn man Zierfische beispielsweise in einem geschlossenen Auto von einem Ort zum anderen transportiert, tritt nach Angaben des Forschers manchmal eine Seekrankheit auf. Ähnliches gelte für bestimmte Arten, die als tierische Weltraumtouristen zu Forschungszwecken ins All geschickt werden und dort in der Schwerelosigkeit leben.
Fische schlagen Purzelbäume
Woran kann man aber erkennen, dass Fische seekrank sind? Können sie beispielsweise auch erbrechen? „Die Tiere zeigen dann ähnliche Symptome wie wir Menschen“, sagt Claudia Richter vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Sie begännen sich zu drehen und versuchten ihre Lage durch verschiedene Bewegungen wieder zu kontrollieren. Gelegentlich kommt es Anken zufolge sogar vor, dass Tiere, denen flau im Magen ist, Purzelbäume im Wasser schlagen. Er nennt das Loop-Schwimmen.
„Auch das Erbrechen wurde schon bei Fischen beobachtet“, meint Richter. Um diesem Verhalten vorzubeugen, füttern beispielsweise Fischzüchter ihre Tiere nicht, bevor sie sie auf eine Reise schicken.
Informationen von Sinnesorganen widersprechen sich
Doch warum kommt es überhaupt zu einer Seekrankheit bei Mensch und Tier? Dies geschieht in der Regel dann, wenn die Sinnesorgane widersprüchliche Informationen zur räumlichen Lage und Bewegung des Körpers liefern. Forscher sprechen von einem so genannten intersensorischen Konflikt. Das Gehirn verliert dabei zumindest kurzfristig die Orientierung und weiß nicht mehr, welchen Informationen es vertrauen soll. Dies kann auf einem stampfenden Schiff passieren, aber auch auf dem Rücksitz eines Autos oder in einem durchsackenden Flugzeug.
„Stellen Sie sich vor, Sie säßen in einem stehenden Zug. Da fährt am Nachbargleis ein Zug ab“, nennt Anken ein weiteres Beispiel. Die Augen melden dann „wir fahren“, das Gleichgewichtsorgan im Ohr dagegen „wir bewegen uns nicht“. Das Hirn könne diesen Konflikt zunächst nicht lösen. Seien dann jedoch die Meldungen weiterer Sinnesorgane ausgewertet, stelle es schließlich fest, dass der Zug steht – und alles sei wieder gut.
Gehirn gibt Brechbefehl aus
Hält so ein Dilemma jedoch an, etwa auf einem Schiff bei starkem Wellengang, kann es zur Seekrankheit kommen. Dann „würde das Hirn – ‚dumm‘ wie es ist – auf die Selbstdiagnose hereinfallen, durch Nahrung vergiftet worden zu sein“, erklärt der Forscher. Es erginge schließlich ein Befehl an das Brechzentrum und man würde sich übergeben, um die vermeintlich schlechte Nahrung loszuwerden. „So lautet zumindest eine Theorie“, meint Anken.
Auch Fische besitzen Gleichgewichtsorgane. Sie sitzen jeweils links und rechts im Kopf. „Wird der Fisch durch einen Strudel oder starke Wellenbewegungen hin- und hergeworfen, kann auch er kurzfristig die Orientierung verlieren und somit see- oder raumkrank werden“, sagt Richter.
Die Erforschung des Phänomens bei Fischen und Menschen ist aber noch lange nicht abgeschlossen. Unklar ist beispielsweise, warum manche Lebewesen schon bei schwachen Bewegungen seekrank werden, andere dagegen scheinbar gar nicht.
10.02.2012 – DLO