Schon unmittelbar nach der Geburt verhalten sich Säuglinge wie erfahrene Profitaucher: Sobald ihr Gesicht unter Wasser gerät, halten sie automatisch den Atem an und ihr Herzschlag verlangsamt sich. Gleichzeitig vollführen sie sogar schon rudimentäre Schwimmbewegungen. Aber woher kommt das? Ist das ein Reflex? Und wenn ja, haben wir Erwachsenen diesen auch noch oder geht er nach dem Säuglingsalter wieder verloren?
Ihr ungewöhnliches Tauchtalent verdanken die Säuglinge gleich mehreren Reflexen, wie Claus-Martin Muth vom Universitätsklinikum Ulm erklärt. Ein Atemschutzreflex sorge dafür, dass Neugeborene selbst dann die Luft anhalten, wenn ihnen nur ein wenig Wasser über das Gesicht laufe. „Er funktioniert auch, wenn man das Gesicht des Babys mit einem Föhn anbläst oder ihm in die Nase pustet“, sagt der Mediziner. Dieser Schutzreflex gehe aber schon nach fünf bis acht Monaten wieder verloren – vermutlich, weil dann das Großhirn ausgereift genug ist, um das Luftanhalten in kritischen Situationen bewusst zu steuern. Bei Erwachsenen funktioniere das daher nicht mehr und lasse sich auch nicht trainieren oder zurückholen.
Ähnlich ist das auch mit dem Schwimmreflex: „Er gehört wahrscheinlich zu den ganz, ganz tief in uns verankerten Verhaltensreaktionen“, sagt Muth. Denn es gebe kaum ein Wildtier, das sich nicht über Wasser halten könne. „Selbst eine Katze, die Wasser ja bekanntlich nicht sonderlich mag, kann trotzdem schwimmen.“ Die paddelnden und rudernden Bewegungen der Säuglinge sind vermutlich ein Erbe unserer tierischen Vorfahren und erfolgen ebenfalls unbewusst. Auch sie gehen allerdings nach dem Säuglingsalter wieder verloren, wie der Mediziner erklärt.
Verlangsamter Herzschlag durch Wasser im Gesicht
Anders ist das mit dem eigentlichen Tauchreflex: „Den haben wir alle – auch noch als Erwachsene“, sagt Muth. Er komme bei allen warmblütigen Tieren vor und sei besonders stark ausgeprägt bei Meeressäugern und anderen im Wasser lebenden und jagenden Tieren. Der Tauchreflex sorgt dafür, dass sich unser Herzschlag verlangsamt, wenn unser Gesicht unter Wasser gerät. „Ausgelöst wird dies durch Rezeptoren, die rechts und links der Nase und in der Stirn sitzen“, erklärt der Anästhesist. Diese reagieren auf Kälte und Nässe. „Deshalb hat man früher beispielsweise akutes Herzrasen behandelt, indem man die Patienten bat, ihr Gesicht in eine Schüssel mit Eiswasser zu tauchen“, sagt Muth. Der Tauchreflex ließ den Herzschlag der Patienten absinken und half ihnen damit.
Die unbewusste Reaktion unseres Körpers auf Wasser im Gesicht lässt sich sogar trainieren, wenn man häufig im Wasser ist: Apnoe-Taucher beispielsweise machen ihn sich zunutze, weil sie mit einem langsameren Herzschlag auch weniger Sauerstoff verbrauchen. „Bei trainierten Apnoe-Tauchern kann der Herzschlag bis auf nur noch 17 Schläge pro Minute absinken“, sagt Muth. Deckt eine Taucherbrille allerdings genau die sensiblen Rezeptoren im Gesicht ab, kommen die auslösenden Signale nicht mehr richtig an, der Tauchreflex ist dann schwächer.
Bei Tauchern und Meeressäugern liegt der biologische Sinn des Tauchreflexes auf der Hand: Sie können länger unter Wasser bleiben, ohne Luft holen zu müssen. „Das ist im Prinzip ein Sauerstoff-Sparmechanismus“, erklärt der Mediziner. In unserem Alltag sei diese Fähigkeit sicher weniger wichtig, könne aber im Ernstfall durchaus Leben retten. Denn sie sorge beispielsweise dafür, dass Ertrinkende in kaltem Wasser länger ohne Sauerstoff auskommen und so länger überleben können. „In einem Fall wurde ein zweieinhalbjähriges Kind erfolgreich wiederbelebt, nachdem es 66 Minuten in eiskaltem Wasser untergetaucht war“, berichtet Muth. Das sei auch dem Tauchreflex und dem durch ihn stark verlangsamten Herzschlag zu verdanken.
12.11.2012 – NPO