Neurobiologie

Warum ist Gähnen ansteckend?

Wissenswert

Gähnender Mann
Gähnen wirkt ansteckend. Ob wir mitgähnen, regulieren verschiedene Schaltkreise in unserem Gehirn. © izusek_iStock

Wir alle imitieren regelmäßig das Verhalten unserer Mitmenschen – ob bewusst oder unbewusst, absichtlich oder unwillkürlich. Eines der bekanntesten Beispiele für diese soziale Nachahmung ist das ansteckende Gähnen. Aber warum bringt uns das Gähnen eines anderen Menschen unweigerlich selbst dazu? Wann tritt es auf? Und welche neuronalen Mechanismen stecken dahinter?

Wenn wir unsere Mitmenschen nachahmen, erleichtert uns das den Umgang miteinander und fördert das soziale Miteinander. Wir imitieren daher oft absichtlich das Verhalten anderer. Gelegentlich kopieren wir deren Bewegungen aber auch automatisch, ohne darüber nachzudenken und ohne dies bewusst zu beeinflussen.

„Automatische Nachahmung ist ein allgegenwärtiges Verhalten im Alltag. Es passiert beispielsweise, wenn wir jemanden gähnen sehen und sofort den Drang verspüren, ebenfalls zu gähnen, oder wenn sich unsere Sprache oder Mimik an die eines Freundes anpassen, mit dem wir sprechen“, sagt Sonia Turrini von der Universität Bologna.

Gähnen ist umso ansteckender, je mehr wir mit dem gähnenden Menschen mitfühlen. Wir gähnen daher häufiger mit, wenn wir Familie oder Freunde dabei beobachten als bei Fremden. Das fördert den Gruppenzusammenhalt – nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Tieren. Selbst Schimpansen, Hunde und sogar Vögel lassen sich nachweislich von fremdem Gähnen anstecken. Gähnen ist damit ein Ausdruck von Empathie, aber auch von Müdigkeit und Stress.

Nachahmungseffekte im Test

Doch welcher biologische Mechanismus steckt hinter dem Phänomen des imitierenden Gähnens? Dieser Frage ist ein Team um Turrini nachgegangen. Dafür ließen die Neurowissenschaftler 80 Testpersonen jeweils eine freiwillige und eine unwillkürliche Nachahmungsreaktion ausführen: Sie sollten einen Finger heben, passend zu einer präsentierten Fingerbewegung oder Zahl.

Vor und nach diesen Aufgaben stimulierten die Forschenden zudem jeweils das Gehirn der Probanden mittels einer speziellen Technik. Dabei werden mehrere neuronale Schaltkreise im Bewegungszentrum unseres Gehirns angeregt, die bekanntermaßen an den unwillkürlichen Imitationen beteiligt sind. Turrini und ihre Kollegen wollten so testen, ob die Nachahmungsreaktionen anders ausfallen, wenn diese Hirnareale besser oder schlechter miteinander verbunden sind, und dadurch das exakte Zusammenspiel dieser Schaltkreise besser verstehen.

Verknüpfung der Schaltkreise beeinflusst Reaktion

Das Ergebnis: „Wir haben gesehen, dass eine bessere neuronale Verknüpfung zwischen dem ventralen prämotorischen Bereich (PMv) und dem primären motorischen Cortex (M1) die Tendenz erhöht, das Verhalten anderer automatisch zu imitieren. Eine schwächere Verbindung dieser Areale hat den gegenteiligen Effekt“, berichtet Turrini. Die Neuronen im PMv fördern demnach Nachahmungen.

Der ergänzende motorische Cortex (SMA) scheint hingegen eine kognitive Kontrollfunktion einzunehmen: Durch ihn können wir Nachahmungen vermeiden, wenn sie im vorgegebenen sozialen Kontext unpassend sind, wie das Team berichtet. Voraussetzung dafür ist es ebenfalls, dass der SMA gut mit dem primären motorischen Kortex (M1) verknüpft ist, wie die Tests ergaben.

Die Experimente bestätigen damit, dass verschiedene Schaltkreise des motorischen Systems an der unwillkürlichen Nachahmung unserer Mitmenschen beteiligt sind. Die Tests zeigen zudem, dass diese Schaltkreise dabei auf unterschiedliche Weise soziale Funktionen erfüllen und sowohl angeregt als auch gehemmt werden können.

Manipulation und Therapie möglich

„Unsere Ergebnisse helfen zu verstehen, wie die Plastizität des Gehirns manipuliert werden kann, um das imitative Verhalten zu erhöhen oder zu verringern“, sagt Seniorautor Alessio Avenanti von der Universität Bologna. Gezielte Stimulationen der neuronalen Schalkreise im Bewegungszentrum können Menschen demnach mehr oder weniger empfindlich für Nachahmungseffekte machen.

Das könnte beispielsweise im Fußball bei Torhütern wichtig sein, die die Vorwärtsbewegung des Torschützen nicht imitieren dürfen, um den Ball halten zu können. Darüber hinaus könnten die Erkenntnisse auch medizinischen Nutzen haben: „Dies könnte zu neuen Therapien führen, um die kognitive Leistungsfähigkeit von Patienten mit neurologischen Beeinträchtigungen und sozialen Dysfunktionen zu verbessern“, so Avenanti. So ist beispielsweise bekannt, dass Psychopathen und Autisten weniger empathisch sind und daher seltener mitgähnen.

Warum wir überhaupt gähnen, ist übrigens bislang nicht eindeutig geklärt. Bisherige Theorien, wonach Gähnen beispielsweise Druck im Ohr ausgleicht, unser Gehirn mit Sauerstoff versorgt oder es abkühlt, sind bereits widerlegt oder noch umstritten. Klar scheint nur, die menschliche Kettenreaktion beim Gähnen erfüllt einen sozialen Zweck und sorgt für ein Zusammengehörigkeitsgefühl. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2024; doi: 10.1073/pnas.2404925121)

Quelle: Universität Bologna

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