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Biologie

Warum werden Tiere in der Tiefsee nicht zerquetscht?

Wissenswert

Tiefsee-Rippenqualle
Dieser Tiefsee-Ctenophor ist etwa so groß wie ein Tennisball und lebt mehr als drei Kilometer unter der Meeresoberfläche. Seine wissenschaftliche Gattung ist Bathocyroe, was übersetzt „Meister der Tiefe“ bedeutet. © Mit freundlicher Genehmigung der Lyman-Gruppe und Jacob Winnikoff/UC San Diego

In der Tiefsee herrscht ein extrem hoher Wasserdruck. Dennoch leben dort zahlreiche Fische und andere Meerestiere, ohne dass sie von der enormen Last des Wassers zerquetscht werden. Wie gelingt ihnen das? Wie hat sich ihr Körper an den gewaltigen Druck angepasst? Hinweise darauf geben uns die ältesten Meeresbewohner: Rippenquallen.

In der Tiefsee herrschen dauerhaft absolute Dunkelheit und eisige Temperaturen. Denn in diese Tiefen von teils mehreren tausend Metern gelangt kein Sonnenlicht mehr. Wegen des Gewichts des Wassers ist der Druck dort zudem etwa 500-mal so hoch wie an der Wasseroberfläche – nicht gerade einladende Bedingungen nach unseren Maßstäben. Und doch leben dort vielfältige Meerestiere, von winzigen Amöben, Foraminiferen oder Wimperntierchen bis zu Fischen und Quallen. Die Identität der meisten Arten ist allerdings noch unbekannt.

Anders als U-Boote, die doppelwandige Panzer besitzen, um dem Wasserdruck standzuhalten, besitzen Tiefseebewohner keine spezielle Schutzhülle. Im Gegensatz zu U-Booten herrscht im Körperinneren der Tiere allerdings auch derselbe Druck wie in ihrer Umgebung. Dadurch werden sie unter dem gewaltigen Druck nicht zerquetscht. Unser Stoffwechsel würde unter diesen Konditionen dennoch nicht funktionieren. Wie ist also Leben in der Tiefsee grundsätzlich möglich?

Taucher suchen nach Flachwasser-Rippenquallen vor Big Island, Hawaii
Taucher suchen nach Flachwasser-Rippenquallen vor Big Island, Hawaii. Die meisten Rippenquallen leben im offenen Meer, wo Taucher Leinen verwenden müssen, um nicht wegtreiben zu können. © 2021 Jacob Winnikoff

Rippenquallen: Meister der Tiefsee

Das hat ein Team um Jacob Winnikoff vom Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI) in Kalifornien kürzlich anhand von Rippenquallen (Ctenophora) untersucht – den ältesten Tieren überhaupt. Diese räuberischen Meerestiere leben bereits seit rund 700 Millionen Jahren in bis zu 4.000 Metern Tiefe, wo sie sich von Fischen und den Larven von Schalentieren ernähren. Doch verwandte Arten dieser Tiefsee-Rippenquallen kommen auch nahe der Wasseroberfläche und in mittleren Meereszonen mit geringerem Druck vor – auch bei uns in der Nord- und Ostsee.

Für ihre Untersuchungen sammelten die Forschenden um Winnikoff 17 verschiedene Arten an Rippenquallen aus unterschiedlichen Meerestiefen, um herauszufinden, wie sie sich jeweils an den Druck angepasst haben. Dafür analysierten sie insbesondere die chemische Zusammensetzung der fettigen Moleküle, aus denen die Zellmembran der Rippenquallen aufgebaut ist. Mithilfe von Computersimulationen und Röntgenbeugung untersuchte das Team, welche Form die aus diesen Lipid-Mischungen bestehenden Membranen bei unterschiedlichem Druck jeweils einnehmen.

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Auf die Membran kommt es an

Das Ergebnis: Die Membran der Rippenquallen besteht aus einem jeweils unterschiedlichen Lipid-Mix, der sie mehr oder weniger biegsam macht. Die in der Tiefsee lebenden Exemplare verfügen dabei über besonders große Mengen an Plasmalogenen, die eher gebogene Membranen erzeugen. Insbesondere bestanden diese zu drei Vierteln aus dem stark kegelförmigen Plasmalogen PPE (Plasmenylphosphatidylethanolamin). In der Membran von Rippenquallen aus Meereszonen nahe der Oberfläche kommen diese Phospholipide hingegen kaum vor – selbst wenn es dort genauso kalt ist wie in der Tiefsee.

„Plasmalogenlipide ermöglichen es Zellmembranen, sich zu verbiegen und verformen – selbst in der Tiefsee bei hohem Druck, wo Membranen sonst sehr steif wären“, erklärt Koautor Edward Lyman von der University of Delaware. Ohne diese Flexibilität könnten die Tiere weder Moleküle über die Membran hinweg transportieren noch ihre Zellen teilen und somit auch nicht wachsen. Der hohe Plasmalogen-Gehalt bei Tiefsee-Rippenquallen ist daher eine nützliche Anpassung, um bei hohem Druck zu überleben.

Collage von fünf der untersuchten Rippenquallen-Arten
Collage von fünf der untersuchten Rippenquallen-Arten. Die rote Färbung, wie sie auf den beiden Exemplaren rechts zu sehen ist, ist bei Tiefseetieren üblich. © 2021 Jacob Winnikoff

Lipidmischung entscheidet über Stabilität

Umgekehrt fanden die Forschenden bei Rippenquallenarten, die in höheren Meereszonen leben, mehr zylindrische Lipide und weniger kegelförmige Plasmalogene. Je niedriger der Druck in ihrer natürlichen Umgebung, desto weniger dieser PPEs kamen in den Membranen der Tiere vor. Unter ihren natürlichen Bedingungen sahen die jeweiligen Membranen dennoch ähnlich aus und waren ähnlich flexibel.

Die Rippenquallen haben sich demnach im Zuge der Evolution mithilfe der Lipid-Auswahl an den Druck in ihrer jeweiligen Umgebung angepasst. Ähnliches wurde zuvor bereits bei Membranen von Tieren in kalten Zonen beobachtet, die spezielle Lipide enthalten, um flexibel zu bleiben. „Es stellte sich jedoch heraus, dass Ctenophoren einzigartige Lipidstrukturen entwickelt haben, um den intensiven Druck zu kompensieren, die sich von denen unterscheiden, die intensive Kälte ausgleichen“, sagt Seniorautor Itay Budin von der University of California San Diego.

Das erklärt auch, warum einige Tiefseebewohner wie die dortigen Rippenquallen zerfallen, wenn man sie an die Oberfläche holt: Ihre Membran wird von dem extremen Wasserdruck buchstäblich zusammengehalten und zerfällt bei Normaldruck. „Wenn man einen Tiefsee-Ctenophor nimmt und ihn an die Oberfläche bringt, biegt sich seine Membran wie verrückt und das ist nicht gut“, sagt Lyman.

Menschliche Membranen

Weil alle Lebewesen über eine Zellmembran aus Lipid-Mischungen verfügen, gehen die Forschenden davon aus, dass das Prinzip der Rippenquallen zum Druckmanagement auch bei anderen Meeresbewohnern genauso funktioniert.

In der Membran menschlicher Zellen kommen solche Plasmalogene übrigens kaum vor – wir leben schließlich nicht am Meeresgrund. Nur die Nervenzellen unseres Gehirns verfügen an den Synapsen über einen auffällig großen Anteil dieser Lipide. Was genau sie dort bei der Signalübertragung bewirken, ist noch unklar. Es gibt jedoch Hinweise, dass die Nervenzellen von Alzheimer-Patienten weniger Plasmalogene enthalten. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adm760)

Quelle: University of Delaware, University of California – San Diego

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