Neurobiologie

Wie misst unser Gehirn die Zeit?

Wissenswert

Illustration eines Gehirns und einer Uhr
Wir nehmen den Lauf der Zeit basierend auf der Anzahl der Erfahrungen wahr, die wir machen. Unsere innere Uhr tickt demnach nicht in Minuten, sondern in Ereignissen. © Talha K. Soluoku/UNLV

Zeit vergeht schneller, wenn man Spaß hat. Aber warum? Ein Blick ins Gehirn verrät den neurowissenschaftlichen Hintergrund für diesen Effekt. Demnach misst unser Körper die Zeit nicht in Minuten, sondern in Aktivitätseinheiten. Ob uns die Erlebnisse Spaß machen, spielt dabei allerdings keine Rolle, sondern lediglich, wie aktiv wir sind. Wie funktioniert diese Zeitmessung im Gehirn und wie können wir uns das zunutze machen?

Unsere Uhren zählen die Zeit in klar definierten und unveränderlichen Schritten von Sekunde zu Sekunde und Minute zu Minute. Man könnte annehmen, dass unser Gehirn mit diesen Zeitmessern synchronisiert ist und zeitliche Abläufe in unserer Wahrnehmung ähnlich getaktet sind. Aber kann das stimmen?

Die meisten von uns dürften aus eigener Erfahrung wissen, dass sich Zeit nicht immer gleich lang anfühlt – je nachdem, wie wir sie verbringen. Manchmal verfliegt sie regelrecht, in anderen Momenten kommt uns alles wie in Zeitlupe vor.

Hirnaktivität verrät neuronale Zeitmessung

Warum das so ist, hat ein Team um Ryan Wirt von der University of Nevada in Las Vegas (UNLV) anhand von Ratten untersucht. Dabei fokussierten sich die Neurowissenschaftler auf eine spezielle Gehirnregion: den Anterioren Cingulären Cortex (ACC) in der vorderen Hirnrinde. Dieses Areal ist unter anderem dafür zuständig, Erfahrungen zu verarbeiten und Aktivitäten zu überwachen.

In dem Experiment reagierten die Ratten mit einer Nasenbewegung auf bestimmte Signale. Pro Testlauf folgten dabei jeweils 200 dieser Signale in verschiedenen Abständen aufeinander. Die Forschenden verglichen dabei die Hirnaktivität im ACC, um festzustellen, ob die Tiere die Ereignisse je nach verstrichener Zeit unterschiedlich wahrnahmen.

Gehirn zählt Ereignisse, nicht Minuten

Tatsächlich fanden Wirt und seine Kollegen veränderte Aktivitätsmuster im Gehirn der Ratten, je nachdem, ob sie sich am Anfang, in der Mitte oder am Ende der Aufgabe befanden. Wie lange sie insgesamt für die 200 Riecher brauchten, spielte hingegen keine Rolle und beeinflusste die Hirnaktivität nicht. Die neuronale Aktivität veränderte sich demnach nicht mit der Zeit, wie wir sie messen, sondern mit der Erfahrung der Tiere, gemessen in Einzelereignissen.

„Die Dauer, die für die Erledigung der Aufgabe benötigt wurde, hatte keinen Einfluss auf die Gehirnmuster. Das Gehirn ist demnach keine Uhr, sondern wirkt wie ein Zähler“, erklärt Seniorautor James Hyman von der University of Nevada in Las Vegas (UNLV). Das Gehirn von Nagern und vermutlich auch von uns Menschen hat dadurch nur ein ungefähres und kein absolutes Zeitgefühl.

Was folgt daraus für unser Zeitempfinden?

Unser Zeitempfinden orientiert sich demnach an diesem relativen Zähler und misst die verstrichene Zeit in der Anzahl der Erlebnisse und Aktivitäten, wie das Team berichtet. „Wenn wir uns langweilen, vergeht die Zeit daher sehr langsam, weil wir nichts tun oder nichts passiert“, so Hyman. „Wenn hingegen viele Ereignisse passieren, bringt jede dieser Aktivitäten unser Gehirn zeitlich voran. Und weil das die Art und Weise ist, wie unser Gehirn die Zeit misst, vergeht die Zeit subjektiv umso schneller, je mehr wir tun und je mehr uns passiert.“

Entgegen des Sprichwortes spielt es dabei aber keine Rolle, ob uns die Aktivitäten Spaß machen oder nicht. Wer unliebsame Aufgaben hinter sich bringen will, erledigt sie demnach besser möglichst schnell, um sein Zeitempfinden auszutricksen. „Wenn du schnell von etwas wegkommen willst, lass dich sofort auf eine Aktivität ein“, empfiehlt Hyman. Denn wenn wir beschäftigt sind, kommen uns die Aufgaben und die Zeit währenddessen nicht so lange vor.

„Wenn wir uns hingegen gut an etwas erinnern und es detailliert erleben und verarbeiten wollen, sollten wir vielleicht langsamer werden und uns bewusst Zeit nehmen, bevor wir uns der nächsten Aktivität widmen“, so Hyman. Das könnte auch gegen mentale Überforderung helfen, indem wir nicht zu viele Aktivitäten in kurze Zeit packen.

Zeit verfliegt auch, wenn man sich gut unterhält

Der Anteriore Cinguläre Cortex misst übrigens nicht nur körperliche Aktivitäten, sondern auch mentale Erlebnisse wie Gesprächsverläufe beim Abendessen. „Du weißt, dass du am Anfang des Dinners über ein Thema gesprochen hast und während des Desserts über ein anderes Thema“, sagt Hyman.

Auch die Dauer eines Abendessens misst unser Gehirn demnach nicht in Minuten oder Stunden, sondern in Erlebnissen. Ein zähes Gespräch kommt uns daher währenddessen langsamer vor als eines mit vielen Themen. Dabei bleibt auch hier die Zeitmessung im Vagen: „In der Erinnerung einen Satz zeitlich exakt vom nächsten zu trennen, das ist unmöglich“, so Hyman.

Zudem unterscheidet sich das akute Zeitempfinden vom Zeitgefühl in der Erinnerung: Was uns live sehr schnell vorkommt und wie im Flug vergeht, ist rückblickend eine lange Angelegenheit mit vielen Erinnerungen – etwa ein Urlaub mit vielen Aktivitäten oder eben ein unterhaltsames Abendessen. Unangenehme Wartezeiten und alltägliche Dinge, die sich währenddessen gefühlt ewig ziehen, sind hingegen rückblickend nur ein kurzes und kaum erinnernswertes Ereignis, wie frühere Studien nahelegen.

Wie genau zählt das Gehirn?

Die Hirnscans offenbarten auch, wie das Gehirn diese Zeitmessung vollzieht. Demnach arbeiten verschiedene Gruppen von Nervenzellen zusammen, um eine Aufgabe mit einer Reihe von Bewegungen zu überwachen. Dabei geben die Zellen die Aufgabe alle paar Wiederholungen an eine anderes Neuronen-Ensemble weiter – ähnlich wie Staffelläufer, die den Staffelstab weitergeben, wie das Team erklärt. Der Zeitpunkt der Übergabe erfolgt jedoch zufällig.

„Die Zellen verfolgen Bewegungen und damit Teile von Aktivitäten und Zeiteinheiten im Laufe der Aufgabe“, sagt Hyman. Die Neuronen im Gehirn teilen so eine absolute zeitliche Abfolge in zufällige räumliche Gruppen ein und schaffen dadurch eine relative zeitliche Abfolge. (Current Biology, 2024; doi: 10.1016/j.cub.2024.05.045)

Quelle: University of Nevada, Las Vegas

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